Zur Pressekonferenz der National Geographic Society kommt im Oktober 1999 auch der chinesische Paläontologe Xu Xing, um den Archaeoraptor zu sehen. Ihm allerdings kommt insbesondere die Schwanzregion des Fossils bekannt vor. „Als ich aus den USA zurück kam, war ich sehr aufgeregt, denn ich hatte ein enorm wichtiges Fossil gesehen, das hier aus China kam“, erzählt Xu später in einem Interview mit der BBC. „Das war ein äußerst bedeutsames Exemplar und ich wollte mehr darüber erfahren.“
Xu Xing auf Spurensuche
Xu kennt die Ausgrabungsstellen der Liaoning-Provinz mittlerweile wie seine Westentasche. Und noch viel wichtiger: Er kennt auch viele der Bauern, die sich durch Fossiliensammeln – und ihr illegales Verkaufen – ein Zubrot verdienen. Er lässt seine Beziehungen spielen, dann schließlich erhält er eine Nachricht. Ein Bauer in der Umgebung habe etwas gefunden, das so ähnlich sei wie der Archaeoraptor, lässt man ihm ausrichten. In einer kleinen Hütte zeigt ihm der Mann ein kleines, gebrochenes Fossil, das weder Oberkörper noch Arme besitzt, dessen Schwanz aber dem des Archaeoraptor gleicht wie ein Ei dem anderen. Sogar ein Bruch und eine gelblich verfärbte Linie im Gestein liegen an exakt der gleichen Stelle – nur spiegelverkehrt.
Zwei Seiten eines Fossils
Für Xu Xing ist schnell klar: Die beiden Schwänze sehen nicht nur gleich aus, sie sind identisch, es muss sich um die zweite Hälfte einer längs in der Mitte gespaltenen Versteinerung handeln. „Die Beweise waren überwältigend. Ich war nun zu 100 Prozent sicher, dass die beiden Schwänze von dem gleichen Fossil stammten“, erinnert er sich. Die Hinterbeine und das Becken des neuen Fossils sind allerdings völlig anders als die des Archaeoraptor. Und sie sind hier ohne Bruch direkt mit dem Schwanz verbunden, nicht durch einen deutlichen Sprung im Gestein abgetrennt, wie beim Hinterteil des Archaeoraptor. Das lässt nur einen Schluss zu: Archaeoraptor muss eine Fälschung sein.
Schock in Washington
Sofort schreibt Xu der National Geographic Society eine E-Mail: „Es tut mir leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass ich jetzt 100 Prozent sicher bin, dass ihr Fossil ein Komposit ist, das aus mehr als einem Exemplar besteht.“ In Washington traut Bill Allen, Herausgeber des Magazins National Geographic, seinen Augen nicht. „Meine erste Reaktion war absolute Ungläubigkeit“, erzählt er in der BBC. Wie konnte das sein, nachdem er und die Gesellschaft so viele teure Untersuchungen in Auftrag gegeben hatten? Und dies bei renommierten Forschern? Um sicher zu gehen, bittet er die Wissenschaftler, ihre Auswertungen noch einmal zu überprüfen.
Fossilien-Mosaik statt Bindeglied
Wie aufs Stichwort kommt jetzt Tim Rowe, der Computertomografie-Experte der Universität von Texas, der schon bei seinen ersten Analysen Zweifel hatte, mit neuen Daten. Sie enthüllen nicht nur deutliche Unterschiede in dem umgebenden Gestein der verschiedenen Einzelteile. Sie belegen auch eindeutig, dass das vermeintliche Archaeoraptor-Fossil nicht von einem Individuum stammt, sondern aus mindestens drei, wahrscheinlich vier unterschiedlichen Tierfossilien zusammengesetzt ist. „Wir sahen, dass der Oberschenkelknochen eingefügt war. Und die beiden Schienbeine ebenfalls“, so Rowe. „Und als wir diese genauer anschauten, konnten wir erkennen, dass eines das Positiv, das andere das Negativ des gleichen Fossils waren“, erklärt Rowe gegenüber der BBC.
Als die Fälschung publik wird, überschüttet die Presse die National Geographic Society mit Häme. „Piltdown-Chicken“ wird der Archaeoraptor in Anlehnung an die bekannteste Fälschung eines Frühmenschenfossils, den Piltdown-Mann, getauft. Auch für die in den USA stark verbreiteten Kreationisten, die ohnehin nicht an die Evolution glauben, ist dies Wasser auf die Mühlen.
„Unterteil“ ist erster Vierflügel-Dino
Ein Gutes allerdings hat der Skandal am Ende doch: Denn sowohl das Oberteil des zusammengestückelten Archaeoraptor, als auch das von Xu Xing entdeckte Gegenstück zum Schwanz entpuppen sich als wertvolle, zuvor nicht bekannte Fossilien. „Microraptor zhaoianus“, die Dinosaurier-Art, von der das ehemalige Unterteil stammt, ist nicht nur der kleinste bekannte Dinosaurier überhaupt. Er stellt auch den bisher vogelähnlichsten Vertreter der Dromeosauridae dar. Erstmals finden sich bei ihm Federn mit asymmetrisch liegendem Kiel, ähnlich den Schwungfedern der modernen Vögel. Sein Schwanz ist verkürzt wie bei Archaeopteryx und auch im Skelett existieren zahlreiche vogeltypische Merkmale.
Für Aufsehen sorgt aber vor allem seine mögliche Lebensweise: „Das Interessante daran ist nicht nur, dass dieses Fossil einem Vogeldinosaurier bisher am nächsten kommt“, so Xu. „Es gibt auch etwas anderes sehr Wichtiges an diesem Skelett. Seine Hinterbeine deuten darauf hin, dass dies ein Dinosaurier gewesen sein könnte, der auf Bäumen lebte.“ Denn auch die Hinterbeine sind stark gefiedert und könnten bei einem Gleitflug von einem Baum hinab als zweites Flügelpaar fungiert haben.
Nadja Podbregar
Stand: 13.08.2010