Wir schreiben den ersten September 1859. Im englischen Surrey steht der Astronom Richard Carrington wie üblich in seinem privaten Observatorium und richtet sein Teleskop auf die Sonne. Es ist ein wolkenloser Vormittag – also beste Bedingungen, um seine Studien der Sonnenflecken fortzusetzen. Um diese zu beobachten, projiziert der Forscher das Teleskopbild so auf einen Schirm, dass die Sonnenscheibe 28 Zentimeter groß erscheint – groß genug, um Sonnenflecken gut erkennen und abzeichnen zu können. An diesem Morgen ist die Ausbeute besonders groß: Eine enorme Gruppe dunkler Flecken verunziert die helle Sonnenscheibe.
Plötzlich aber geschieht etwas Unerwartetes: Zwei gleißend helle Lichtpunkte erscheinen über den Sonnenflecken und werden immer intensiver. Dann verschmelzen sie zu einem einzigen nierenförmigen Licht. Carrington hat so etwas noch nie gesehen. „Hastig rannte ich raus, um jemanden zu rufen, der gemeinsam mit mir das Ereignis bezeugen konnte“, berichtet der Astronom später. „Als ich 60 Sekunden später wiederkehrte, stellte ich zu meiner Enttäuschung fest, dass das Licht bereits völlig verändert und stark abgeschwächt war.“ Was aber war das? Carrington findet darauf zunächst keine Antwort.
Polarlichter über den Bahamas
Am nächsten Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, ist ein zweites Ereignis zu beobachten – diesmal aber nahezu weltweit: Überall am Himmel strahlen plötzlich leuchtende Polarlichter auf. Die roten, grünen und purpurfarbenen Schleier und Wirbel sind so hell, dass man in ihrem Schein problemlos eine Zeitung lesen kann. Selbst in den Tropen, über Jamaika, den Bahamas und Hawaii, leuchtet das Polarlicht – obwohl es sonst nur im hohen Norden und Süden zu sehen ist.
Aber bei diesem Himmelsschauspiel bleibt es nicht: Telegrafen-Angestellte bekommen einen heftigen Schlag, wenn sie ihre Geräte anfassen. In einigen Büros entzündet sich durch die überspringenden Funken sogar das Papier, auf dem die Telegramme notiert werden. Die Angestellten schalten sofort den Strom ab, doch selbst dann bleiben die Leitungen geladen. Sie können sogar noch Botschaften versenden – obwohl das ganze System eigentlich stromlos und damit ausgeschaltet sein müsste. Das unerklärliche Phänomen sorgt weltweit für Angst und Aufregung.
Heute weiß man, dass Carringtons Beobachtung und die seltsamen Ereignisse am folgenden Morgen zusammenhängen und von einem bis heute ungewöhnlichen Ereignis herrühren. „Was der Astronom damals in seinem Teleskop sah, war ein gewaltiger Weißlicht-Flare – eine Magnetexplosion auf der Sonne“, erklärt David Hathaway, Solarphysiker am Marshall Space Flight Center der NASA in Huntsville. Gleichzeitig mit diesem extrem energiereichen Strahlungsblitz schleuderte die Sonne auch eine Wolke von geladenen Teilchen weit ins All hinaus. Die Energie dieses Sonnensturms war so groß, dass er das schützende Magnetfeld der Erde stark verformte, als er mit ihm kollidierte. Als Folge gelangten geladene Partikel bis weit in die obere Atmosphäre hinein und lösten dort Entladungen und Polarlichter aus.
Dass sich beim diesjährigen Maximum ein Ereignis dieses extremen Kalibers wiederholt, ist eher unwahrscheinlich. Sonnenstürme aber könnten im Laufe des Jahres 2013 durchaus häufiger werden.
Nadja Podbregar
Stand: 26.04.2013