Der Aufstieg von Dschingis Khan und später Kublai Khan bedeuteten jedoch noch nicht das Ende der chinesischen Mauer. Ganz im Gegenteil. Die Mauer, wie wir sie heute kennen, entstand sogar erst nach dem Sturz des mächtigen Mongolenclans. Die Kaiser der so genannten Ming-Dynastie ließen sie nach Übernahme des Reiches im Jahr 1368 nach Christus aus dem Boden stampfen. Sie fürchteten Überfälle vor allem durch kriegerische Mandschuren aus dem Norden.
Aufrüstung zur Abschreckung
Deshalb rüsteten sie das Bollwerk gegen ihre Feinde kräftig auf. Gigantische Steinwände ersetzten schon bald an vielen Stellen die Holzkonstruktionen der alten Mauer. Um die Stabilität des Bauwerks weiter zu erhöhen, wurde das Innere mit einem Gemisch aus Sand, Lehm oder anderen Materialien gefüllt. Hier sollen aber auch die Leichen von Arbeitern und Soldaten verschwunden sein, die beim Mauerbau ihr Leben ließen.
In die massiven Wände eingestreut waren mehr als 40.000 Türme, die als Waffenlager, Vorratskammern oder Unterkünfte für die Soldaten dienten. Die bis zu zwölf Meter hohen Gebilde spielten aber auch eine wichtige Rolle als Kommunikationssystem: Wurden irgendwo an der Mauer Angreifer gesichtet, meldeten die Wachen mithilfe von Feuer- oder Rauchsignalen die Gefahr von Turm zu Turm in Windeseile weiter.
Die Herrscher im Hinterland erhielten so jederzeit aktuelle Informationen über die Sicherheit ihrer Landesgrenzen, die Grenzschützer konnten aber auch schnell und gezielt Armeen zur Hilfe anfordern. Soweit die Strategie der Ming-Kaiser. Doch diese funktionierte nur bis zum Jahr 1644, als die Mandschuren das Reich der Mitte eroberten und eine neue Ära einläuteten. Danach verlor die Mauer immer mehr an Bedeutung.
Vom Schutzwall zum Steinbruch
Heute, knapp 400 Jahre später nagt der Zahn der Zeit an dem mächtigen Gebilde. Nur da, wo Touristen mit Devisen locken, befindet sich die chinesische Mauer in einem guten Zustand und wurde teilweise sogar restauriert. So etwa in der Nähe von Badaling, knapp 100 Kilometer nördlich von Peking, wo der Ansturm der Archäologie-Interessierten aus der ganzen Welt mit am größten ist. Der Rest der Mauer jedoch ist längst vom Zerfall bedroht oder sogar bereits zerstört. Schuld daran sind nicht Regen, Wind oder Kälte sondern auch die Chinesen selbst. Sie nutzten Teile des Mega-Bauwerks als billigen Steinbruch für ihre Häuser oder Straßen.
Die Mauer wird länger
Doch trotz aller Probleme ist die 1987 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannte chinesische Mauer noch immer eine wichtige Anlaufstelle für Wissenschaftler. Denn viele Rätsel um das Wahrzeichen Chinas sind noch immer ungelöst. Wie lang ist die chinesische Mauer wirklich? Darüber beispielsweise streiten Wissenschaftler seit Jahrzehnten heftig. Glaubt man dem chinesischen Namen „wan li chang cheng“ – sinngemäß übersetzt „10.000 Li lange Mauer“ -, dann führt das Bauwerk nur rund 5.800 Kilometer durch das Reich der Mitte. Li ist eine Maßangabe und entspricht rund 580 Metern. Das jedoch erscheint vielen Forschern viel zu kurz. Die meisten Schätzungen liegen heute zwischen 6.300 Kilometern und 6.800 Kilometern.
Doch auch das muss nicht stimmen. Denn immer wieder stoßen Archäologen bei Ausgrabungen auf bisher unbekannte Teile des uralten Mauersystems. So wie im Jahr 2001, als chinesische Wissenschaftler in der Wüste Lop Nor, rund 500 Kilometer westlich des bisherigen Endpunktes in Yianyuguan, wertvolle Überreste des Bollwerks (wieder-)entdeckten. Als erster auf die dortigen Signaltürme und Mauerteile gestoßen war der schwedische Entdecker und Geograph Sven Hedin auf einer großen Expedition zwischen 1927 und 1935. Das Wissen darüber geriet jedoch unter dem kommunistischen Regime in Vergessenheit.
Historischer „Hindernis“ wird nachgemessen
Um endgültig alle Spekulationen über die Länge der Mauer zu beenden, haben die nationale Kulturerbebehörde Chinas und das staatliche Vermessungsamt ein neues Projekt aus der Taufe gehoben. Zwischen 2007 und 2011 wollen sie das Bauwerk mit modernster Technik nachmessen und dabei auch den Zustand der verschiedenen Mauersegmente ermitteln…
10. August 2007