Die Idee war geboren, als die Comic-Helden Tim und Struppi in einem künstlichen Hai auf den Meeresboden tauchten. Bereits 1944 entwarf der Zeichner Hergé für seine Abenteurer die perfekte Tarnung, um in der Haibucht unbemerkt auf die Suche nach dem „Schatz Rackhams des Roten“ zu gehen: Ein U-Boot, dass aussah wie ein Hai mit Glasdach.
Heute ist die Wissenschaft hinter einem wohl viel wichtigerem Schatz her: den Haien selbst. Denn obwohl viele Arten bereits vom Aussterben bedroht sind, ist über ihr Leben immer noch nicht viel bekannt. Besonders ihr Verhalten untereinander, der Ablauf ihres „Alltags“ und ihr Lebensraum sind nur ansatzweise erforscht. Die Fortpflanzung oder das Gebären des Hai-Nachwuchses konnte im Meer überhaupt noch beobachtet werden.
„Wir müssen näher ran“, meint der Unterwasserforscher Fabien Cousteau. „Es ist derselbe Gedanke, wie bei Jane Goodall und ihren Schimpansen. Du willst dich von dem Tier nicht absondern, sondern Teil seines Reiches sein“. Im Unterschied zu der Affen-Spezialistin, begibt sich der Enkel von Jacques Cousteau aber nicht in das Reich von Vegetariern, sondern in die Nähe des Top-Raubtiers der Meere. Bisher ist es den Wissenschafts-Teams nur gelungen, die Tiere aus unbeweglichen Tauchkäfigen zu filmen, um sich dabei selbst ausreichend zu schützen. Denn wenn der Eindringling Mensch den Weißen Haien zu Nahe kommt, regiert nur noch das Recht des Stärkeren.
Cousteau wollte daher den Haien mit einer List begegnen: dem trojanischen Hai. Beim Ingenieur Eddie Paul, der sonst für Hollywood-Filme arbeitet, gab er ein U-Boot für 100.000 US$ in Auftrag, dass ihn einerseits als Weißen Hai tarnen sollte und andererseits wie einen Käfig schützen.
Rippen, Rückgrad und ein Flossenmotor
Paul nahm als Vorlage für das Grundgerüst ein Hai-Skelett, um möglichst naturgetreu Stabilität und Beweglichkeit zu simulieren. Die Rippenbögen formte er aus sechs Zentimeter dickem Edelstahl, die im Zweifelsfall auch dem Biss eines Weißen Hais standhalten würden. Damit sich das U-Boot aber auch genauso wie ein Hai per Flossenschlag fortbewegen kann, musste die Konstruktion in der Körperlänge äußerst biegbar bleiben. Schließlich kann sich selbst ein ausgewachsener Hai von sieben Metern Länge immer noch selbst in die eigene Schwanzspitze beißen.
Für den Lösungsansatz nahm Eddie Paul wieder die Natur als Vorbild. Er konstruierte ein flexibles Rückgrat aus dem Hightech¬-Kunstoff Makrolon. Die Polycarbonat-Platten werden auch als kugelsichere Sicherheitsscheiben verwendet und bilden daher als Wirbelsäule mit den Rippen zusammen ein ideales Skelett für den künstlichen Hai. Nachdem die Skin-Flex Haut aus Latex sich über die „Knochen“ spannt und Eddie Paul mit dem Airbrush am Kopf aus Fiberglas noch die letzten Details aufsprüht, sieht der schwimmende Käfig einem Weißen Hai schon täuschend ähnlich.
Für einen geräuscharmen Antrieb, der das U-Boot mit Schlägen der Schwanzflosse durch das Wasser schieben soll, müssen die Konstrukteure noch mal tief in die Trickkiste greifen. Bei der US-Navy werden sie fündig: Mit hohem Luftdruck gesteuerte Kolben drücken in flüssigen Bewegungen die Flosse zur einen oder anderen Seite. Auch für die Sauerstoffversorgung wird ein komplett geschlossenes Luftsystem verbaut, damit nicht eine einzige Luftblase die Haie erschrecken kann.
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Im Sommer 2003 ist es so weit: Die viereinhalb Meter lange Pseudo-Haidame „Troy“ geht in der Baja California baden. Die Tarnung soll Cousteau ermöglichen, sich unter einen Hai-Schwarm zu mischen, um ein möglichst authentischen Eindruck zu bekommen. „Ich will die Haie in ihrer natürlichen Umgebung filmen, ohne Einfluss des Menschen. Es geht darum, das Tier aus der Perspektive eines Artgenossen zu sehen“, erklärt der Meeresforscher.
Ein stummer Cousin als falscher Verwandter
Die technische Meisterleistung wird von Fabien Cousteau als ersten auf die Probe gestellt. Unter Wasser klappt er den Kopf nach unten, und schiebt sich mit den Füßen voraus in den „Bauch“ seines trojanischen Hais. Ist die Luke geschlossen, steuert er die Motor-Bewegungen wie bei einem Computerspiel mit zwei Joysticks nach links oder rechts, rauf oder runter. In den beiden Augen und in einem imitierten Putzerfisch am Rücken des Hais sind jeweils Kameras versteckt, die den Besuch bei den „echten“ Verwandten dokumentieren sollen.
Vor der Insel Guadalupe dirigiert Cousteau seine Haidame langsam zu einem Schwarm Weißer Haie. Ihre Reaktion verblüfft ihn: Vorsichtig und neugierig nähern sie sich dem seltsamen Artgenossen und umkreisen ihn beobachtend. Ganz anders als bei den Vorstößen auf Menschen in Tauchkäfigen, stupsen sie ihn nicht einmal an, sondern versuchen sogar mit „Troy“ zu kommunizieren. Nachdem er ihnen aber nicht antworten kann, wenden die Haie sich desinteressiert ab und lassen sie allein. Cousteau ist hellauf begeistert: „Die anderen Tiere halten sie jetzt wohl für einen entfernten Cousin aus einem anderen Ozean, der sie nicht verstehen kann“.
Knapp 170 Stunden Filmmaterial hat das Filmteam mit Hilfe des künstlichen Hais zusammengetragen. Ob die Aufnahmen Neues über den Weißen Hai offenbaren, was den Kamerateams mit einem Käfig bisher verborgen blieb, ist noch nicht sicher. Auch die wissenschaftliche Verwertbarkeit des Materials bleibt offen, da nichts von den Ergebnissen bisher veröffentlicht wurde.
Stand: 10.02.2006