Astronomie/Kosmologie

Der umgestülpte Ballon

Quantenschleifen und ein "Urprall"

In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist eine regelrechte Renaissance der zyklischen Kosmologien angebrochen. In ihnen bildet der Urknall den Übergang zwischen zwei Universen. Je nach Modell gibt es dabei mal eine Singularität, mal geht das Ganze ohne diesen Ausnahmezustand der Physik vonstatten.

Quantenschaum
Nach der Theorie der Schleifen-Quantengravitation besteht die Raumzeit aus einem Netz von Quantenschleifen. © MPI für

Quantenschaum statt glatter Raumzeit

Fast schon zwangsläufig ergibt sich ein zyklisches Universum aus der Theorie der Schleifen-Quantengravitation (Loop Quantum Gravity). Nach dieser 1987 erstmals vorgestellten Theorie ist das Raumzeitgefüge nicht kontinuierlich, wie von Einsteins Relativitätstheorie angenommen, sondern in winzige, unteilbare Einheiten gegliedert – die Loops oder Schleifen. Eine Schleife hat in etwa die Ausdehnung von 10-35 Metern, das entspricht der Planck-Länge, der in der Quantentheorie definierten kleinstmöglichen Einheit.

Ein Netzwerk aus solchen miteinander verbundenen Schleifen bildet das Grundgewebe des Universums, Teilchen bilden Knotenpunkte in diesem Netz. Dadurch ähnelt der gesamte Kosmos einem Wabern aus sich fortwährend verändernden winzigen Verknüpfungen. Wegen seiner extrem geringen Größe ist dieses Quantennetz für uns weder sichtbar noch spürbar, es spielt für unsere Alltagserfahrung keine Rolle.

In sich selbst umgestülpt

Anders aber ist dies beim Urknall oder dem großen Übergang von einem Universum zum nächsten. Nach klassischer Urknalltheorie war im Uranfang das gesamte Universum in einem Punkt unendlicher Dichte konzentriert – einer Singularität. In der gequantelten Welt der Schleifen-Quantengravitation ist dies jedoch nicht möglich. Denn hier können alle physikalischen Werte – auch die Dichte – nur endliche Werte annehmen.

Die Quantelung sorgt aber für ein fast ebenso dramatisches Ereignis: Nach den Vorstellungen der Loop-Theoretiker kehrt sich am Punkt des Urknalls die Schwerkraft um: Statt anziehend zu wirken, ist sie plötzlich abstoßend, als hätte sich ihr Vorzeichen vertauscht. „Der Raum wird dabei praktisch in sich selbst umgestülpt. Das kann mit einem ideal kugelförmigen Luftballon veranschaulicht werden, aus dem die Luft entweicht“, erklärt der Quantenphysiker Martin Bojowald. Beim Urknall bewegen sich die Wände des Ballons aufeinander zu, bis sie sich berühren und sogar durchdringen.

Luftballons
Das Universum als sich umstülpender Luftballon? © pexels/ pixabay

Urprall statt Urknall

Das aber hat kosmologische Konsequenzen: Zum einen spricht das Modell nach Ansicht der Loop-Theoretiker fast schon zwangsläufig dafür, dass der Urknall nicht der Uranfang von Allem war. Denn im Gegensatz zur Relativitätstheorie produzieren die Gleichungen der Schleifen-Quantengravitation gültige mathematische Ergebnisse auch vor dem Urknall. „Die größte Überraschung war, dass es tatsächlich auf der anderen Seite, also vor dem Big Bang, ein anderes Universum gegeben haben könnte. Das hatten wir nicht erwartet“, sagt Abhay Ashtekar von der Pennsylvania State University.

Es könnte daher tatsächlich einen Übergang statt eines Urknalls gegeben haben, gewissermaßen einen „Urprall“: Ein Vorgänger-Universum fällt in sich zusammen und federt dann, abgestoßen von der antigravitativen Wirkung des submikroskopischen Netzwerks, wieder vom Quantenmaßstab in makroskopische Größen zurück.

Kosmischer Gedächtnisverlust

Praktischer Nebeneffekt: Die dabei auftretenden Fluktuationen der Materie- und Energiedichte verwischen alle Informationen des vorhergehenden Universums. „Kurz gesagt leidet das Universum an einem tragischen Fall von Gedächtnisverlust“, sagt Bojowald. Nach diesem Big Bounce würde daher jedes neue Universum gleichsam von vorn beginnen, mit einer blank gewischten Tafel.

Das löst auch das Problem der Entropie: Nach Bojowalds und Ashtekars Vorstellungen wird auch die Entropie wieder quasi auf Null gesetzt, weil die Informationen über den Entropie-Zustand des alten Universums den Übergang nicht überstehen. Das neue Universum kann daher seine Geschichte ohne Entropie-„Altlast“ beginnen – so jedenfalls die Hypothese. Belegen lässt sich all dies aber bisher nicht.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Big Bounce statt Big Bang
War der Urknall wirklich der Anfang von allem?

Das Urknall-Problem
Warum der Big Bang Fragen aufwirft

Übergang statt Uranfang?
Was für und gegen ein zyklisches Universum spricht

Der umgestülpte Ballon
Quantenschleifen und ein "Urprall"

Quantentunnel und negative Energien
Die aktuellen Hypothesen zum Big Bounce

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