Einige Jahrtausende lang war Doggerland ein eiszeitliches Paradies, in dem unsere Vorfahren nach dem Zurückweichen der Gletscher reiche Jagdgründe und gute Lebensbedingungen fanden. Doch dieser Zustand war nicht von Dauer. Im Norden dieser weiten Landflächen bahnte sich auf doppelte Weise Unheil an.
Schleichendes Vorrücken des Meeres
Der erste Faktor war die allmähliche Erwärmung des Klimas und das Abtauen der eiszeitlichen Gletscher. Ihr Schmelzwasser ließ die Pegel der Meere langsam wieder ansteigen, zunächst um knapp zwei Zentimeter pro Jahr. Im Doggerland führte dies dazu, dass sich der Atlantik von Norden und Westen her immer weiter in das ausgedehnte Land hineinfraß. In der Zeit vor rund 9.000 Jahren waren dadurch tieferliegende Gebiete bereits zeitweise überschwemmt, einige Sen und Feuchtgebiete wandelten sich zu Brackwasserflächen oder Salzmarschen.
Spuren dieses schleichenden Wandels finden sich auch am Bouldnor Cliff in Südengland. „Die Sedimentanalysen zeigen eine sich verändernde Vegetation, weil es feuchter wurde“, berichtet der Maritime Archeological Trust. Mikrofossilien von Kieselalgen und Foraminiferen im Sediment zeigen an, dass das Wasser des ursprünglich Süßwasser führenden Flusses salziger wurde.
Doggerland wird zum Archipel
Vor 8.600 bis 8.160 Jahren verschärfte sich die Lage: In Nordamerika kam es zum Bruch mehrerer natürlicher Dämme, wodurch sich das Wasser riesiger Schmelzwasserseen auf einmal in den Ozean ergoss. Als Folge stieg der Meeresspiegel auch an den Küsten des Doggerlands sprunghaft an. „Diese Veränderungen des Meeresspiegels hatten bedeutende Konsequenzen für die mesolithischen Populationen dieses Gebiets und zwangen viele zur Migration“, erklären Jon Hill von der University of York und seine Kollegen.
Zu dieser Zeit hatte sich das einst so ausgedehnte Doggerland bereits zu einer Ansammlung von größeren und kleineren Inseln gewandelt. Die heutige Doggerbank bildete dabei wahrscheinlich die größte noch aus dem Meer ragende Landfläche – ein Refugium für viele der Menschen in diesem Gebiet. Aber auch im Rest von Doggerland ragten überall Hügelketten und bewaldete Inseln aus den salzigen und brackigen Flachwasserzonen. Die Bewohner dieser Region könnten sich an diesen Veränderungen angepasst haben – auch Bouldnor Cliff war zu jener Zeit noch besiedelt.
Der Storegga-Tsunami
Doch dann ereignete sich eine Katastrophe: Etwa vor 8.200 Jahren löste sich am Kontinentalhang vor der Küste Norwegens ein gewaltiger Erdrutsch. Auf 290 Kilometer Länge rutschte die Schelfkante ab und 3.500 Kubikkilometer Geröll, Sediment und Gestein rasten den Hang hinunter in die Tiefsee. Erst nach rund 800 Kilometern kam die unterseeische Lawine zum Stehen. Die Menge des abgerutschten Materials hätte ausgereicht, um ganz Island 34 Meter hoch zu bedecken.
Für die steinzeitlichen Bewohner der umliegenden Küsten hatte diese größte bekannte submarine Rutschung verheerende Folgen. Denn sie löste einen Tsunami aus, der die Küsten des Nordatlantiks mit bis zu 20 Meter hohen Wellen überflutete. Auch das Doggerland wurde von diesem Tsunami getroffen. Hill und sein Team haben mithilfe eines Modells ermittelt, dass das Wasser um bis zu neun Meter hoch gestiegen sein könnte und 2.000 Quadratkilometer des Doggerlands überflutete.
Katastrophale Überflutung – aber nicht der endgültige Untergang
Spuren dieses Ereignisses finden sich bis in den Süden von Doggerland: Vor der Küste des englischen Norwich haben Vincent Gaffney von der University of Bradford und sein Team Belege für diesen Tsunami in Sedimentbohrkernen aus einem alten Flusstal gefunden. Mikrofossilien und DNA-Spuren zeugen davon, dass es dort vor rund 8.200 Jahren eine Überflutung gab, die sogar Baumstämme mit großer Wucht durch das Tal schwemmte.
Entgegen früherer Studien sprechen ihre Daten – und auch die von Hill und seinem Team – jedoch dagegen, dass die Storegga-Rutschung ganz Doggerland versinken ließ. „In den Küstengebieten, in denen die Menschen damals wahrscheinlich den größten Teil des Jahres verbrachten, wurden die Siedlungen schwer getroffen“, sagt Gaffney. „Aber unsere Daten deuten darauf hin, dass sich die Landschaft von dieser Überflutung zunächst wieder erholte. Der endgültige Untergang von Doggerland fand demnach erst einige Zeit nach der Storegga-Rutschung statt.“
Das Ende von Doggerland
Dennoch war das Schicksal dieses mittelsteinzeitlichen „Garten Eden“ besiegelt: Weil der Meeresspiegel mit der anhaltenden Erwärmung und Eisschmelze weiter anstieg, eroberte der Nordatlantik immer größere Teile von Doggerland. Vor rund 7.500 Jahren könnte das Wasser dann auch die letzten Inseln dieses alten Lebensraums überflutet haben – Doggerland existierte nicht mehr. Seither bedeckt die Nordsee das weite Gebiet zwischen den Britischen Inseln und Kontinentaleuropa und verhüllt alle Spuren dieses „Atlantis“ der Steinzeit.