Die heute wohl erstaunlichsten Leistungen Leonardos sind seine Bemühungen ums Fliegen. Der Traum, sich wie ein Vogel in die Luft zu heben, ist zu Leonardos Zeiten nicht neu, doch er, der geniale Erfinder, kommt mit seiner Vorstellungskraft der Realisation so nahe wie keiner vor ihm. Auch auf diesem Gebiet greift Leonardo bereits so weit voraus, dass sich seine Visionen erst 400 Jahre später langsam verwirklichen lassen werden.
Begriffe wie Aerostatik oder Aerodynamik sind Leonardo völlig unbekannt, er hat lediglich eine Vorstellung des Auftriebs in der Luft, weil er sich intensiv mit der Frage des Luftwiderstands beschäftigt hat.
Vögel und Fledermäuse als Vorbild
Der kühne Forscher geht zunächst von Vogelflug aus, den er kopieren will. Dazu analysiert er die einzelnen Phasen des Vogelflugs und hält sie wie mit einer Filmkamera auf Streifen aus minimal veränderten Einzelbildern fest. Zusammen betrachtet ergeben sie eine fließende Bewegung und scheinen den Vogel auf dem Papier zum Leben zu erwecken.
Ein Vierteljahrhundert lang versucht er, mechanische Flügel nach dem Vorbild von Fledermäusen zu konstruieren, weil er sie für die grundlegende Voraussetzung einer Flugmaschine hält. Seine mechanischen Modelle ähneln Marionetten, deren Gelenke und bewegliche Glieder durch Schnüre und Hebel gesteuert werden. Er entwirft einen riesigen Fledermausflügel, den ein Mann mithilfe von Hebelstangen bewegen soll.
Nach seinen noch eher analytischen Flügelkonstruktionen wendet sich Leonardo im Jahre 1505 der Realisation eines Fluggerätes zu. Was er dabei völlig außer Acht lässt, ist jedoch das Problem des Antriebs. Einen „Motor“ deutet er auf seinen Zeichnungen meist nur undeutlich an, berücksichtigt ihn als vagen Block, mit dessen Funktionsweise er sich nicht weiter auseinandersetzt. Umso detaillierter legt er Aufbau und Mechanik der schlagenden Flügel dar.
Fehlende Antriebskraft
Das Problem der Antriebskraft will Leonardo durch einen oder mehrere Piloten lösen, die mit Armen und Beinen schiebend, ziehend und kurbelnd in waghalsigen Stellungen und Apparaturen hängend die riesigen Flügel bewegen sollen. Er entwirft ein Boot, das sich rudernd in die Luft begibt, und das erste einziehbare Fahrgestell der Luftfahrtgeschichte – eine Konstruktion aus meterhohen Stelzen und einer Treppe, über die das Fluggerät zu erreichen ist und das beim erhofften Abheben an Bord gezogen werden soll.
Als er schließlich einsieht, dass die menschliche Muskelkraft für einen Antrieb nicht ausreicht und seine Apparate niemals fliegen werden, wendet er sich dem Studium der Aerodynamik zu. Er untersucht den Segelflug der Vögel, das Fallen der Blätter und vermisst die aerodynamischen Eigenschaften der Luft. Extra zu diesem Zwecke erfindet er die ersten Aerometer zur Dichtemessung, Barometer zur Bestimmung des Luftdrucks und Neigungsmesser zur Bestimmung des Winkels zwischen einer schrägen Fläche und der Horizontalen.
Fallschirm und Hubschrauber
Erst als er sich auf diese Weise von seiner Idee des Fliegens verabschiedet hat, entwickelt er ein wichtiges Utensil der heutigen Luftfahrt, das allerdings auch erst neu erfunden werden musste – den Fallschirm. Leonardos pyramidenförmiges Modell hat sich beim Nachbau tatsächlich als funktionstüchtig erwiesen. Auch sein „Drehflügler“ – ein Gerät mit einer Spirale aus zwei übereinander angeordneten Scheiben, die von zwei Männern angekurbelt werden, entspricht im Prinzip bereits heutigen Hubschraubern.
Stand: 27.01.2005