In einer der Beobachtungsnächte vor Spitzbergen schickten die Forscher um Johnsen wieder einmal ihr autonomes Messkayak aus, um die Dichte des Planktons zu messen. Es war bewölkt und stockdunkel, und wie sich zeigte, nutzten die winzigen Planktontiere diese Chance, um nahe der Oberfläche zu fressen.
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Im Schutz des Dunkels
Normalerweise begeben sich die winzigen Krebschen und anderen Schwebtierchen damit in große Gefahr, denn sowohl aus der Luft herabstoßende Vögel als von unten heraufschießende Fische könnten sie fressen. Doch im Schutz der extremen Dunkelheit fällt es selbst diesen Fressfeinden schwer, sie zu orten. Das macht die Polarnacht zu einer perfekten Zeit, um in Ruhe zu fressen.
Doch plötzlich änderte sich das Bild: Die Wolken rissen auf und helles Mondlicht flutete die Szenerie. „Mit den Instrumenten auf dem Kayak sahen wir, wie das Zooplankton sofort nach unten abtauchte, weil sie weg vom Licht wollten“, berichtet Johnsen. „Erst als eine Wolke den Mond wieder verhüllte, kamen sie zurück an die Oberfläche.“
Rätselhafte Massenwanderung
Doch es gibt noch andere, regelmäßigere Massenbewegungen des Planktons während der Polarnacht. Beobachtungen rund um die Arktis zeigen, dass Milliarden von Krebsen, Einzellern und winzigen Fischchen täglich im Wasser auf- und abwandern. „Diese diurnale Migration des Zooplanktons ist wahrscheinlich die größte tägliche Massenwanderung von Biomasse weltweit“, erklärt Kim Last von Scottish Association for Marine Science.
Aber was gibt den Tieren den Takt vor? Im Polarwinter fehlt schließlich der normalerweise zeitgebende Tagesrhythmus der Sonne. Ein Indiz gab den Forschern der zeitliche Verlauf dieser Planktonwanderungen: Während sich die Massenwanderung im Polarsommer an einem 24-Stunden-Tag orientiert, wiederholen sich Auf- und Abbewegegungen des Planktons im Dauerdunkel des Winters in einem Zyklus von 24,8 Stunden
Mond statt Sonne als Taktgeber
Diese Periode entspricht ziemlich genau der Zeitspanne, die der Mond über dem Horizont zu sehen ist – einem Mondtag gewissermaßen. „Während des permanent dunklen und extrem kalten Polarwinters verhalten sich diese winzigen Meeres-Kreaturen wie die mythischen Werwölfe: Sie reagieren auf das Mondlicht“, erklärt Last.
Und dies tun die Krebschen und Einzeller offenbar nicht nur im Rhythmus der normalen Mondtage, ähnlich wie die mythischen Werwölfe reagieren sie auch auf den Vollmond besonders stark. „Der Vollmond setzt ihren normalen diurnalen Rhythmus zurück“, erklärt Johnsen. „Sie verändern dann ihr Verhalten und das gesamte Ökosystem, von Bakterien bis hin zu Blauwalen, reagiert dann auf dieses Licht.“
Nadja Podbregar / Quelle: gemini.no
Stand: 03.06.2016