Die Wissenschaftshistorikerin Christina Brandt rekonstruiert, wie Wissen entstanden ist. Dazu schlüpft sie in die Haut der Forscherinnen und Forscher vor Jahrzehnten.
Die Wissenschaftsgeschichte geht immer weiter. Wo ist für Sie Ihr Projekt über die Geschichte des Klonens abgeschlossen?
Genau genommen wird man natürlich nie fertig. Ich schließe aber in den 1980er-Jahren – also vor 30 Jahren. Das ist in der Geschichtswissenschaft recht üblich. Den Abstand von 30 Jahren sollte man schon haben, sonst ist man einfach noch zu nah dran.
Sie vollziehen den Laboralltag der Forscher im Detail nach und kriechen sozusagen in die Personen hinein. Wie ist es, wenn Sie dann mit Zeitzeugen sprechen?
Das ist in der Tat eigenartig. Die meisten älteren Wissenschaftler sind sehr auskunftsfreudig. Man muss allerdings im Gespräch sensibel sein. Häufig steht man besser im Stoff als der Forscher selbst, der sich vielleicht gar nicht mehr genau erinnert, ob er eine bestimmte Beobachtung 1963 oder zwei Jahre später gemacht hat.
Interviews sind aber für meine Forschung wichtig, denn sie schützen vor Fehldeutungen. Zwischenmenschliches kann ich zum Beispiel nicht den Aufzeichnungen entnehmen, es kann aber von großer Bedeutung sein. Ich hatte einmal den Fall, dass zwei renommierte Biologinnen zeitgleich am selben großen Institut in den USA beschäftigt waren. Mit dieser Information würde man sofort annehmen, dass sie sich kannten und ausgetauscht haben. Tatsächlich wussten sie aber kaum voneinander. Das beeinflusst natürlich auch ihre wissenschaftliche Arbeit.
Sie sehen durch Ihre Forschung viele vermeintliche Gewissheiten kommen und gehen. Was wissen wir denn eigentlich sicher?
Gewissheiten werden nicht bestehen bleiben. Auch die Wissenschaftsgeschichte selbst verändert sich. Innerhalb des Fachgebiets wird zum Beispiel diskutiert, wie sich Wissen entwickelt. Ist es eher ein revolutionärer Prozess, bei dem alte Gewissheiten durch neue ersetzt werden? Oder eine Art Evolution, bei dem das eine aus dem anderen hervorgeht? Die Wissenschaftsgeschichte vor 20 Jahren und in 20 Jahren wird anders aussehen als heute.
Hinzu kommt eine ungeklärte Frage, gerade für die modernen Biowissenschaften: Was ist eigentlich Wissen? Wenn es im engeren Sinne das Wissen über die Welt ist, haben wir in der hochtechnologisierten Biologie des 20. Jahrhunderts ein Problem. Denn beim Klonen geht es ja nicht um die Untersuchung von vorgefundenen Dingen, sondern um Manipulation und Artefakte. Es geht um Wissensobjekte, die durch bestimmte Techniken erst im Labor hergestellt wurden. Die Gegenstände sind vom Akt ihrer Herstellung nicht trennbar. Wie gültig ist das Wissen dann?
Meike Drießen / RUBIN
Stand: 11.11.2016