Wenn das Kohlenstoffgitter des Diamanten Fremdatome und Fehlstellen enthält, verleiht dies dem Edelstein nicht nur besondere Farben und optische Eigenschaften. Die Dotierung macht den Kristall auch zu einem vielversprechenden Material für die Quantenphysik und Quantenkommunikation.
Minimale Gitterschwingungen
Eine Eigenschaft, die Diamanten zu attraktiven Quanten-Akteuren macht, ist ihre Steifigkeit und thermische „Ruhe“ selbst im kleinsten Maßstab: Regt man einzelne Fremdatome in ihrem Kristallgitter durch Bestrahlung an, reagieren diese darauf mit Änderung ihres Quantenzustands und kurz darauf mit Abgabe eines Photons. Anders als bei den meisten anderen Materialien löst die Energieaufnahme aber kaum Schwingungen im umgebenden Gitter aus. Der Diamant verhält sich damit so wie der Halbleiter Silizium bei extremer Abkühlung auf rund minus 200 Grad.
„Man kann daher von Diamant als Raumtemperatur-Quantenmaterial sprechen“, erklären Physiker der Universität Stuttgart. Heutige Quantencomputer wie Googles „Sycamore“ oder die Quantencomputer von IBM nutzten meist ultrakalte Supraleiter als Basis für ihre Quantenbits. Die starke Abkühlung soll thermische Schwingungen verhindern und so die sensiblen Überlagerungszustände der Qubits vor Störungen bewahren.
Beim Diamant ist eine solche Abkühlung nicht nötig. Die besonderen quantenphysikalischen Bedingungen in seinem Gitter sorgen dafür, dass Veränderungen an einzelnen Stellen des Gitters weitgehend isoliert und abgeschirmt vom Rest der Umgebung stattfinden. Gleichzeitig sind beispielsweise Änderungen der Spins in den Fehlstellen gut zu lokalisieren und nachzuweisen. All dies macht Diamanten zu guten Kandidaten für Quantencomputer, Quantenspeicher oder Repeater in Quantennetzwerken, die schon bei Raumtemperatur funktionieren.
Quantenbits im Diamant
Dass sich im Diamantgitter Qubits bei Raumtemperatur erzeugen und halten lassen, belegte ein Forscherteam um Peter Maurer von der Harvard University bereits im Jahr 2012. Sie regten dafür Stickstoff-Fehlstellen mithilfe von Mikrowellen und Radiopulsen gezielt an und nutzten den Spin eines benachbarten Kohlenstoffatoms als Quantenbit. Mithilfe eines grünen Lasers minimierten sie zudem Störeinflüsse durch die Stickstoff-Fehlstelle.
Mit diesem Aufbau gelang es dem Forscherteam erstmals, Qubits in einem Raumtemperatur-Diamanten länger als eine Sekunde stabil zu halten. „„Wir haben diese Verbesserung um fast das Tausendfache mit einem relativ geringen experimentellen Aufwand erreicht“, sagt David Hunger vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching. „Laut Theorie lässt sich die Lebensdauer des Qubits sogar auf maximal 36 Stunden erhöhen. Die momentanen Limitierungen lassen sich mit verbesserter Technik weiter zurückdrängen.“
Kühlt man den Diamanten doch auf ultrakalte Temperaturen herunter, lassen sich Qubits in seinem Gitter schon jetzt mehr als acht Stunden halten, wie 2018 eine Forschergruppe der TU Wien nachgewiesen hat. Sie hatten Diamanten mit Stickstoff-Fehlstellen in einem supraleitenden Resonator einem Mikrowellenfeld ausgesetzt, das die Spins der Gitterfehler beeinflusste und so die Quanteninformation schreiben und auslesen konnte.
Diamantspitze als Quantensensor
Eine erste praktische Anwendung des Diamanten als Quantenphysik-Akteur haben Patrick Maletinsky von der Universität Basel und seine Kollegen im Jahr 2017 demonstriert. Sie nutzten einen speziell gezüchteten Diamantkristall mit Stickstoff-Fehlstellen als Spitze eines Rasterkraftmikroskops. Die wenige hundert Nanometer feine Spitze reagiert auf elektrische und magnetische Felder des unter ihr liegenden Materials und dient so als Quantensensor.
„Wir nutzen die Sensoren vor allem, um neuartige Materialien und ihre magnetischen Eigenschaften zu untersuchen“, erklärt Maletinsky. Die sowohl bei Raumtemperatur wie bei ultrakalten Materialien einsetzbare Diamantspitze erhöht dabei die Sensitivität der Messungen um ein bis zwei Größenordnungen gegenüber herkömmlichen Sensoren, wie der Forscher berichtet. Ein weiterer Vorteil: Weil Diamanten keine Wechselwirkungen mit biologischem Material eingehen, können mit diesem Sensor auch biologische Proben schonend untersucht werden.