Es ist 23 Uhr, das letzte Tageslicht hat sich verabschiedet. Laternen beleuchten spärlich die Strada Jepilor. Von einem Wohnungsbalkon ruft jemand auf Englisch herunter: „Keinen Blitz verwenden!“ Vor den Hochhäusern stehen geparkte Autos, auf der anderen Straßenseite die Müllcontainer. Die großen Behälter sind von Drahtkäfigen umgeben, obenauf liegt Wellblech. Die Türen zu den Drahtverschlägen sind sperrangelweit offen.
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Abendessen am Müllcontainer
Eine Frau fährt mit dem Auto vor, um ihren Müll abzuladen. Sie sagt, sie würde hier nicht in den Wald gehen. Der beginnt direkt hinter den Containern. Hinter den Autos ducken sich lautlos ein paar Touristen. Neugier und die Erwartung wohligen Schauderns haben sie hierher gelotst. Nach einer Stunde hat sich ihr Warten gelohnt: Eine Bärin mit zwei putzigen Kleinen im Schlepptau streift keine 20 Meter entfernt am Waldrand entlang. Für Sekunden ist das Trio zu sehen, dann verschwindet es wieder im Dunkel von Wald und Nacht.
Vielleicht traut die Bärin der Situation nicht. Oder es liegt daran, dass die Container Stunden zuvor geleert wurden? „Sie kommen jeden Abend zu den Mülltonnen“, hatte der Taxifahrer versichert und gesagt, er habe keine Angst vor ihnen. Aurelian und Lucian, zwei Jungs aus der Siedlung, erzählen vom letzten Todesopfer hier. Ein einheimischer Betrunkener. „Die Bären riechen den Alkohol“, sagen sie. Und Blitzlicht, warnen sie, könne die Tiere aggressiv machen.
Bergwald mit Braunbären
Racadau, ein Stadtteil von Brasov (Kronstadt) in Rumäniens Karpaten, ist eine Trabantensiedlung unter vielen, wie sie zu Ostblockzeiten in die Landschaft geklotzt wurden. Mit einer Besonderheit: Sie liegt direkt am Fuße eines dicht bewaldeten Bergs. Und der Wald ist riesig. Es ist das Bergmassiv Piatra Craiului, das nach Brasov hinabmäandert – die Königsteiner Alpen, Heimat von Wolf, Luchs und Braunbär.
Ursus arctos, der Braunbär, lässt sich in der Dunkelheit regelmäßig im Schatten der Wohnwaben sehen. Nacht für Nacht durchstöbern Bären die Container nach Lebensmitteln – ein Spektakel, das laufend Touristen wie Einheimische anlockt.
In Rumäniens Karpaten leben noch rund 5.500 Braunbären auf einer Fläche von der Größe Bayerns. Andere Schätzungen sind pessimistischer. So oder so, es ist der größte Bärenbestand Europas außerhalb Russlands und die mit Abstand größte Population in der EU.
Die Behörden in Brasov haben reagiert. Die Abfallbehälter werden häufiger entleert, die Container schließen besser als früher, Schilder warnen vor den Bären. Die Ministerien betreiben mehr Aufklärung, um das Augenmerk von Touristen und Reiseveranstalter auf die Gefahren durch Bären zu lenken.
Kai Althoetmar
Stand: 20.01.2017