Deutschlands Stromversorgung ist nicht isoliert, sondern Teil eines europaweiten Verbundnetzes. In diesem sind die überregionalen Übertragungsnetzbetreiber zusammengeschlossen – in Deutschland gibt es davon vier. Sie sorgen dafür, dass das deutsche und europäische Stromnetz stabil in einem engen Frequenzbereich arbeitet: Der Wechselstrom fließt normalerweise in einem Takt zwischen 49,8 und 50,2 Hertz durch die Leitungen.
Diese Werte markieren den Bereich, bei den alle Stromabnehmer und stromproduzierenden Systeme problemlos und synchron arbeiten können. Eine strikte Überwachung durch größtenteils automatisierte Systeme sorgt dafür, dass der Stromfluss immer so verteilt wird, dass die Frequenz in diesem Bereich bleibt – normalerweise.
8. Januar 2021 – Ernstfall im europäischen Stromnetz
Doch was ist, wenn nun beispielsweise Wind- und Solaranlagen viel mehr Strom einspeisen als das Netz verkraften kann – oder wenn plötzlich akuter Strommangel herrscht, weil eine Haupttrasse unterbrochen ist? Was dann passiert, illustriert ein Ereignis am 8. Januar 2021: An diesem Tag sprang um 14:04:25 Uhr in einer Umspannstation in Kroatien ein Überspannungsschutz an und unterbrach eine 400 Kilovolt-Kopplung, an der mehrere Höchstspannungsleitungen zusammenliefen. Dadurch wurden mehrere Hauptleitungen getrennt, die normalerweise Strom aus dem Südosten Europas in den Nordwesten transportieren.
Diese abrupte Trennung führte zu einer Umverteilung des Stroms, der dann in einer Kettenreaktion auch in anderen Umspannstationen die Schutzschalter herausspringen ließ. Dadurch brach um 14:05 Uhr die Verbindung zwischen den beiden Teilstromnetzen zusammen. Das europäische Stromnetz teilte sich in einen nordwestlichen und einen südöstlichen Teil auf. Das Problem: Im Südwesten herrschte nun ein Stromüberschuss, der die Netzfrequenz auf 50,6 Hertz ansteigen ließ. Im Nordwesten sank die Frequenz kurzfristig auf nur noch 49,74 Hertz – beides lag außerhalb der Normwerte für das europäische Stromnetz.
Automatisierte Schutzreaktion
Für solche Fälle haben die europäischen Übertragungsnetzbetreiber spezielle, größtenteils automatisierte Schutzmechanismen installiert. Sie sorgen dafür, dass schon bei einer Abweichung von 0,01 Hertz von den Sollwerten sofort Puffer aktiviert werden, die die Netzfrequenz wieder stabilisieren. Dafür sind Kraftwerke, aber auch große Stromabnehmer wie Industrieanlagen, so mit dem europäischen Überwachungssystem gekoppelt, dass sie automatisiert hochfahren oder vom Netz getrennt werden können.
So auch am 8. Januar 2021: Schon wenige Sekunden nach dem Ausfall der kroatischen Umspannstation reagierte das europäische Netzüberwachungssystem. Um den Stromüberschuss im Südosten zu verringern, trennte es um 14:04:57 Uhr einen 975 Megawatt-Stromgenerator in der Türkei vom Netz. Weitere kleinere Stromproduzenten folgten, wodurch die Netzfrequenz im Südostteil Europas wenige Minuten später wieder im Normbereich lag.
In Nordwesteuropa musste dagegen ein Strommangel ausgeglichen werden, um die zu niedrige Frequenz im Netz wieder in den Sollbereich zu bringen. Für einen solchen Fall dienen große Industrieanlagen als Puffer – das ist in Verträgen zwischen den Übertragungsnetzbetreibern und den Industriekunden so geregelt. Diese haben automatische Schalter installiert, durch die ihre Anlagen in einem solchen Notfall automatisch vom Stromnetz getrennt werden können. Dadurch sinkt der Stromverbrauch deutlich ab und die zu niedrige Netzfrequenz steigt wieder an. Die Industrieanlagen laufen währenddessen für kurze Zeit über Notstromaggregate weiter.
Auch am 8. Januar griff dieser Schutzmechanismus: Schon in den ersten Minuten nach dem Ereignis wurden mehrere große Industrieanlagen in Frankreich und Italien automatisiert vom Stromnetz getrennt. Dadurch sank der Verbrauch sofort um 1,7 Gigawatt ab.
Katastrophe erfolgreich abgewendet
Um 14:09 Uhr – keine fünf Minuten nach dem Ausfall des kroatischen Umspannwerks – hatte sich die Netzfrequenz in Europa wieder normalisiert. Ein Blackout blieb aus. Allerdings blieb die Trennung des Netzes in zwei Teile zunächst bestehen. An diesem Punkt kam die zentrale Plattform der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, das „ENTSO-E Awareness System“ (EAS) ins Spiel: Noch während die automatisierten Schutzmechanismen griffen, konnten dies alle Diensthabenden in den Leitzentralen in Echtzeit mitverfolgen.
Schon Minuten später tauschten sie sich in einer Telefonkonferenz darüber aus, wie man nun beide Teilnetze kontrolliert und ohne größere Schwankungen wieder zusammenzubringen kann. Dafür mussten die unterbrochenen Hauptleitungen in koordinierter Reihenfolge wieder nach und nach aktiviert werden. Es funktionierte: 63 Minuten nach dem Herausspringen des Überspannschutzes in der kroatischen Umspannstation war das europäische Stromnetz wieder vereint und synchronisiert.
Doch was passiert, wenn es im europäischen Stromnetz nicht genug Reserven für solche Maßnahmen gibt?