Dann war es endlich soweit: Zwei Mal flogen die beiden Jungforscher in die Zentralafrikanische Republik und dockten ans Chinko-Camp an, jeweils für drei Monate, erst von Februar bis April 2012, dann nochmals von Dezember 2012 bis Februar 2013. 100 Kamerafallen setzten sie am Ende ein, über 200.000 Bilder lieferten die auf Bewegung und Wärme reagierenden Fotoautomaten. Dazu liefen Aebischer und Hickisch 500 Kilometer vorgezeichneter gerade Pfade ab, sogenannte Linien-Transekte, um Wildtiere direkt zu sichten und Spuren zu bestimmen. Als wäre das nicht genug, stapften sie noch weitere 1.500 Kilometer Fußmarsch quer durch die Wildnis.
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Die Entdeckungen der beide Forscher waren aus zoologischer Sicht spektakulär. Es fehlte nur noch, dass den beiden Säbelzahntiger und Wollnashorn vor die Kamera liefen. Insgesamt wiesen Aebischer und Hickisch 62 mittlere und große Säugetierarten nach, darunter zehn Primatenarten, 21 Spezies an Raubtieren – vom Löwen bis zum Serval – und 23 Huftierarten, darunter das seltene Lord Derby Eland, Afrikas größte Savannenantilope, und den Bongo, die größte Waldantilope.
Wildhunde: das Phantom Westafrikas
Zum Fotoshooting auf dem Wald- und Savannenlaufsteg erschienen selbst Arten, die afrikaweit oder zumindest regional als ausgerottet galten. Allen voran der Afrikanische Wildhund. In Zentralafrika waren die gescheckten Caniden in den letzten Jahrzehnten zum Phantom geworden. Durch Lehrbücher und Lexika geistern zwar Rumpfbestände, die es noch im Tschad, dem Südsudan und im Nordosten der Zentralafrikanischen Republik geben soll. Bloß hat sie seit Jahrzehnten kein Wissenschaftler gesehen. „Die Angaben stützen sich auf Schätzungen, Expertenmeinungen und Extrapolationen“, sagt Aebischer.
In den letzten Jahrzehnten verschwand der Rudeljäger aus mindestens 25 von 39 Ländern Afrikas komplett. Als eine letzte kleine Bastion Zentralafrikas galt noch der Norden Kameruns, ehe eine vom WWF Niederlande finanzierte Feldstudie zeigte, dass der Wildhund auch dort verschwunden ist. Die Fotonachweise aus dem Chinko geben daher neue Hoffnung für das Überleben der Art, deren Bestand laut der Weltnaturschutzunion IUCN afrikaweit auf nicht mal mehr 7.000 Tiere geschätzt wird, davon nur 1.400 im Fortpflanzungsstadium. Es waren einmal 500.000 Wildhunde.
„Der Wildhund braucht sehr große Streifgebiete und reagiert empfindlich auf die Fragmentierung seines Lebensraumes durch den Menschen“, sagt Peter Gerngross von der auf seltene Arten spezialisierten Zoologischen Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz (ZGAP). Afrikas Wildhunden setze vor allem die Jagd mit Drahtschlingen zu. Im Chinko stelle das offenbar kein großes Problem dar, so der Wiener Raubkatzenexperte. Auch eine weitere häufige Todesursache scheidet im Chinko aus: Zusammenstöße mit Autos. Von daher biete der Chinko für die Art „gute Voraussetzungen“, meint Gerngross.
Listige Mangusten und Goldkatzen
Aebischer und Hickisch konnten per Kamerafalle auch die Existenz einer Mungoart, der Listigen Manguste, nachweisen, die seit zwanzig Jahren nicht mehr gesichtet worden war. „Data deficient“ – keine ausreichenden Daten vorhanden, hieß es zuvor bei der IUCN. Nun ist die Frage geklärt. Auch die luchsartige Goldkatze hielten die Fotofallen fest. Die Grenzen ihres Verbreitungsgebietes hatten Biologen bislang 200 Kilometer weiter südlich gezogen. Überrascht waren die Forscher auch, dass der Wüstenluchs Karakal vor die Linse lief, der in der Region als unbekannt galt.
„Arten, die normalerweise weit entfernt voneinander in sehr unterschiedlichen Gegenden leben, kommen in diesem Teil der Zentralafrikanischen Republik gemeinsam vor“, berichtet Aebischer. Das gilt auch für Warzenschweine. Gleich drei Busch- und Warzenschweinarten koexistieren in der Gegend – neben dem in Afrika fast omnipräsenten Warzenschwein das Pinselohrschwein und das seltene Riesenwaldschwein. Ähnlich Büffel: Mit dem Sudanbüffel und dem Afrikanischen Waldbüffel kommen gleich zwei Unterarten im Chinko vor.
Auch das Elefantenvorkommen erstaunte. In der gleichen Region kommen Savannen- und Waldelefanten vor. Das war bislang nur aus zwei Nationalparks – dem Garamba im Kongo und Ugandas Queen Elizabeth-Park – bekannt. Die Population der Waldelefanten dürfte aber kaum mehr als noch wenige Hundert ausmachen. Erik Mararv hat beobachtet, dass sich die Tiere dem Druck der Wilderer zu entziehen versuchen, indem sie in die dichteren Wälder nach Süden ausweichen. In die offenen Savannen kehren die Dickhäuter erst mit Beginn der Regenzeit zurück, wenn die Wilderer fort seien.
Kai Althoetmar
Stand: 11.10.2013