In den letzten zehn Jahren haben moderne Biotechnologien auch unsere Sicht auf die Vergangenheit dramatisch verändert. Denn neue Methoden erlauben es nun, selbst aus Jahrtausende alten Knochen und anderen menschlichen Überresten noch Erbgut zu gewinnen und zu analysieren. Dies eröffnet völlig neue – und oft überraschende – Einblicke in das Leben und die Welt unserer Vorfahren.
Spurensuche im Genom
Dies gilt auch für die Frage, wer oder was den großen kulturellen Wandel vor rund 5.000 Jahren in Europa auslöste. „Wir wollten verstehen, wie diese enormen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen zustande kamen, die sich zu Beginn des dritten Jahrtausends vor Christus vom Ural bis nach Skandinavien ausbreiteten“, erklärt Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen.
Für ihre Studie analysierten Willerslev und sein Team genetisches Material von 101 menschlichen Überresten aus Europa und Vorderasien. Das Alter der Gebeine reichte von etwa 6000 bis 900 vor Christus und umspannte damit auch die Umbruchszeit vor rund 5.000 Jahren. Parallel dazu führten Forscher um David Reich von der Harvard University ähnliche Studien durch.
Abrupter Genaustausch
Das überraschende Ergebnis: Vor rund 5.000 Jahren wandelte sich nicht nur die Kultur in Mitteleuropa, sondern auch die genetische Zusammensetzung der Bevölkerung – das belegen beide Studien. „Wir waren erstaunt, wie stark und schnell dieser genetische Wandel zwischen der neolithischen und der Schnurkeramik-Kultur war“, sagt Willerslev. Während zuvor eine Mischung von DNA der alten Jäger und Sammler und der aus dem Mittelmeerraum stammenden Urzeitbauern vorherrschte, dominierten nun plötzlich ganz andere Gene.
„Rund 75 Prozent der DNA der Schnurkeramiker in Deutschland lässt sich auf die Jamnaja zurückführen“, berichten Reich und sein Team. Und weiter nördlich, in Großbritannien, war der Wechsel sogar noch dramatischer: Vor rund 4.5000 Jahren wurde dort die heimische Bevölkerung, zu denen auch die Erbauer von Stonehenge gehören, zu fast 90 Prozent von neueinwandernden Populationen ersetzt, wie die DNA-Analysen enthüllten. Innerhalb weniger hundert Jahre lösen die aus den Steppenreitern hervorgegangenen Angehörigen der Glockenbecherkultur die alte Bevölkerung ab.
„Eine Geschichte der Migration“
„Diese Ergebnisse werden viele Menschen erschüttern“, sagt Barry Cunliffe von der University of Oxford. „Selbst für uns Archäologen ist dies absolut überwältigend. Denn einen so
hohen Anteil von Steppennomaden-DNA hätten wir uns zuvor selbst in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.“ Sein Kollege Kristian Kristiansen von der Universität Göteborg ergänzt: „Das ist bahnbrechend. Die gesamte Geschichte muss nun umgeschrieben werden – zu einer Geschichte der Mobilität und Migration.“
Der Blick in die Gene bestätigt damit, dass die Vorgeschichte der Europäer drei großen Migrationswellen geprägt wurde. Den Anfang machte vor rund 45.000 Jahren der Homo sapiens, der aus Afrika nach Europa einwanderte und dort den seit hunderttausenden Jahren etablierten Neandertaler ablöste. Die zweite Welle folgte vor rund 8.000 Jahren, als Einwanderer aus dem Mittelmeerraum die Kulturtechnik der Landwirtschaft nach Europa brachten und damit die neolithische Revolution auslösten.
Die dritte große Welle war der Vorstoß der Jamnaja aus den eurasischen Steppengebieten vor rund 5.000 Jahren. Der Einstrom dieser Steppennomaden führte zu einem großen Wandel in den etablierten Kulturen Europas und gab den Anstoß zu vielen Neuerungen, die das Leben unserer Vorfahren für immer veränderten.