Archäologie

Die Entdeckung

Das versunkene Herakleion und sein ägyptischer Zwilling

Nach ihren ersten Entdeckungen am Grund der Bucht von Abukir beginnt für die Unterwasserarchäologen um Frank Goddio die mühsame Arbeit, das unter bis zu zwei Meter dickem Sediment verborgene Ruinenfeld näher zu untersuchen. Areal für Areal legen sie ein Suchgitter aus und durchpflügen den Meeresgrund nach Artefakten und Gebäuderesten.

„Jedesmal, wenn man ein Objekt gefunden hat, muss man es sofort verorten, registrieren und fotografieren, denn es kann innerhalb von Minuten wieder verschwunden sein. Das Sediment kann die Ausgrabungsstelle sofort wieder überdecken“, erklärt Goddio.

Taucher finden die vier Meter hohe Granitstatue eines ägyptischen Königs am Meeresgrund.© Frank Goddio

Der Naos von Amun-Gereb

Doch die mühsame Suche lohnt sich: Die Archäologen entdecken immer Fundstücke, die auf die antike Stadt Herakleion hindeuten. Darunter ist ein ganz besonderes Artefakt: ein Naos. Diese steinernen Schreine bildeten in der Antike das Zentrum eines Heiligtums und enthielten das Abbild der Gottheit, dem der Tempel geweiht war. Der 2001 von den Archäologen entdeckte Naos aus rosa Granit ist rund 1,70 hoch und besitzt die typische Form eines solchen Tempelschreins: ein pyramidenförmiges Dach, einen rechteckigen Innenraum und an der Vorderseite rechts und links Scharnierreste, die auf zwei frontale Türen hindeuteten.

Welche Inschriften und welches Götterbildnis sich im Inneren verbergen, können die Archäologen zunächst nicht erkennen. „Die Texte auf dem Sims und den Seiten sind praktisch unlesbar“, berichtet Goddio. Erst die Untersuchung des geborgenen Naos-Schreins mithilfe spezieller fotografischer Techniken enthüllt, um was es sich handelte: „Obwohl die Oberfläche ziemlich abgetragen war, erlaubten es uns die Reste der Inschrift, diesen Schrein dem Hauptgott des Tempels, Amun-Gereb, zuzuordnen“, berichtet Goddios Schwester, die Ägyptologin Anne-Sophie von Bomhard.

Gold-Objekte aus Herakleion
2023 bei Tauchgängen in den Ruinen von Herakleion entdeckte Artefakte aus Gold. © Ägyptisches Ministerium für Tourismus und Altertümer

Es ist Herakleion!

Das aber bedeutet: Bei der am Meeresgrund entdeckte Tempelmauer, dem Schrein und den restlichen Ruinen könnte es sich tatsächlich um die seit Jahrhunderten verschollene Stadt Herakleion handeln. Denn ihr Haupttempel war bekanntermaßen dem Amun-Gereb gewidmet. Auch die Größe des Ruinenfelds und die enorme Zahl der nach und nach von den Unterwasserarchäologen zutage geförderten Fundstücken sprechen dafür, dass hier eine einst bedeutende und große Stadt im Meer versunken ist.

Die Bestätigung liefert dann ein weiterer Fund: 2003 finden Archäologen eine rund zehn Zentimeter große Plakette aus dünnem Goldblech, die eine griechische Inschrift trägt. Auf ihr ist zu lesen: „König Ptolemäus, Sohn des Ptolemäus und der Arsinoe, weiht dieses Gymnasterium dem Herakles, zum Wohl seiner Königin Berenike, seiner Schwester und Gattin, seiner selbst und dem ihrer Kinder.“ Diese typischerweise in Gebäude-Fundamente integrierte Goldplakette stammt demnach von Ptolemäus III., der von 46 bis 222 v.Chr. über Ägypten herrschte – und sie bezieht sich auf Herakles, den Namensgeber von Herakleion.

Damit ist klar: Goddio und sein Team haben die lange gesuchte antike Hafenstadt Herakleion gefunden. Wie riesig diese Stadt einst war, lässt sich bisher nur erahnen. „Wir haben bisher erst rund fünf Prozent von Herakleion erkundet“, sagt Goddio. Er schätzt die Gesamtgröße der versunkenen Hafenstadt auf etwa das Dreifache der Fläche von Pompeji. Das bestätigt die griechischen Überlieferungen, nach denen Herakleion in ihrer Blütezeit die größte Hafenstadt Ägyptens war und einer der bedeutendsten Häfen im gesamten Mittelmeerraum.

Stele von Nektanebo
Die in den Ruinen von Herakleion entdeckte Stele des Pharaos Nektanebo I. verrät, dass das antike Herakleion mit der ägyptischen Stadt Thonis identisch ist.© Jon Bodsworth/ Egypt Archive

Das Dekret von Nektanebo I.

Doch das ist noch nicht alles: Bei ihren Ausgrabungen entdecken die Unterwasserarchäologen auch etwas, das ein weiteres Rätsel der Geschichte löst. Denn neben der Frage, was mit Herakleion geschehen ist, ist auch der Verbleib einer anderen, nur aus wenigen ägyptischen Inschriften bekannten Stadt ungeklärt: Thonis. Auch sie sollte am westlichen Nilarm liegen und war in der Spätphase der pharaonischen Ära eine wichtige Zollstation für importierte Güter. Doch wo genau lag Thonis?

Die Antwort darauf liefert erneut ein spektakulärer Fund: Unweit des Tempels von Amun-Gereb stoßen Goddio und sein Team auf eine schwarze, rund zwei Meter große Stele mit abgerundeter Oberkante. „Zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung lag sie mit der Front nach unten. Als wir sie umdrehten, sahen wir, dass sie vollständig von Hieroglyphen bedeckt war – die Inschrift war völlig intakt“, berichtet Goddio.

Und diese Inschrift hat es in sich. Denn sie erweist sich als ein Dekret von Nektanebos I., des letzten Pharaos der altägyptischen Herrscherdynastien. Die Inschrift aus dem Jahr 380 v. Chr. verkündet, dass der Tempel der Naith einen Anteil an den Steuern und Zöllen erhalten soll, die in der Hafenstadt erhoben werden. Außerdem heißt es: „…dass diese Stele am Eingang zum ‚Meer der Griechen‘ aufgestellt werden soll, in der Stadt, die Thonis heißt.“

Herakleion ist Thonis

Damit beantwortet die Stele eine seit 2.000 Jahren offene Frage: „Die Stadt Thonis und die Stadt Herakleion, die in unterschiedlichen antiken Texten erwähnt wurden, waren in Wirklichkeit dieselbe Stadt. Thonis ist der alte ägyptische Name und Herakleion ist der Name, den die griechischen Neuankömmlinge ihr gaben“, erklärt Goddio. Die zur Zeit der Ptolemäer bedeutende Hafenstadt war demnach schon ab 600 v. Chr. – zur Zeit der letzten Pharaonendynastien – ein wichtiger Seehafen für Ägypten.

Doch warum liegt Thonis-Herakleion heute am Meeresgrund?

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Ägyptens versunkene Metropole
Thonis-Herakleion - auf den Spuren des antiken "Venedigs am Nil"

Eine legendäre Stadt
Herakleion, Ägyptens Tor zur antiken Welt

Die Fahndung beginnt
Spurensuche in der Bucht von Abukir

Die Entdeckung
Das versunkene Herakleion und sein ägyptischer Zwilling

Der Untergang
Warum Thonis-Herakleion in den Fluten versank

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