Früher war das System der kosmischen Objekte noch einfach und geordnet, für jeden Typ gab es eine Schublade. Doch seit der Entdeckung der Braunen Zwerge passt plötzlich alles nicht mehr so recht. Immer häufiger stoßen Astronomen auf Objekte, die gegen alle Regeln verstoßen. 2005 schließlich führte eine solche Entdeckung sogar dazu, dass eine völlig neue astronomische Kategorie aufgemacht wurde.
Auslöser war das Objekt Cha 110913-773444: Mit nur acht Jupitermassen liegt es weit unterhalb der offiziellen Untergrenze für substellare Objekte und eigentlich mitten im Bereich der Planeten. Aber für einen Planeten fehlt dem nur zwei Millionen Jahre jungen Zwerg ein Zentralstern, er kreist stattdessen allein in einem Raumbereich rund 500 Lichtjahre von der Sonne entfernt im Sternbild Chamäleon.
Baby-Planetensystem um Pseudo-Planeten?
Wirklich allein? Nicht ganz, wie Astronom Kevin Luhman von der Pennsylvania State Universität und Kollegen im Jahr 2005 anhand von Infrarotaufnahmen des Spitzer Weltraumteleskops der NASA feststellten. Denn der Gasball von nur 1,8facher Jupitergröße ist von einer Staubscheibe umgeben, die bei größeren Sternen als typisches Anzeichen für sich bildende Planeten gilt. Und es ist nicht die erste protoplanetare Scheibe um einen Braunen Zwerg. Das Spitzer-Teleskop hat allein in den letzten Jahren bereits Dutzende solcher Staubscheiben um „verhinderte Sterne“ in verschiedenen Stadien der Planetenbildung auf frischer Tat ertappt. In fünf von ihnen waren bereits deutlich die auskristallisierten Vorformen von Protoplaneten zu erkennen.
„Unser Ziel war es, die kleinste ‚Sonne‘ mit Indizien für eine Planetenbildung zu finden“, erklärt Luhman. „Hier haben wir eine Sonne, die so klein ist, dass sie nur die Größe eines Planeten hat.“ Und genau das machte Cha 110913-773444 extrem ungewöhnlich. Es war schon seltsam genug, dass der Zwerg munterseelenallein durch das All flog, dass er aber obendrein auch noch das Zentrum eines entstehenden Mini-Planetensystems bildete, das sprengte einfach alle bestehenden Vorstellungen. Wäre der Zwerg ein Planet, müssten die neu entstehenden Objekte in seinem Orbit folglich als Monde bezeichnet werden. Wäre er ein Brauner Zwerg und damit ein „verhinderter Stern“, dann handelte es sich um Planeten. Aber beide Varianten ließen sich nicht so recht mit existierenden Definitionen vereinbaren.
Planemo als Kategorie für „Zwischenformen“
Die Entdeckung löste prompt eine Grundsatzdebatte in der astronomischen Forschergemeinschaft aus. Die große Frage war: Was sollte man mit solchen Objekten machen, wo sollten sie eingeordnet werden. Sie passten einfach nicht in die bestehenden Schubladen. „Wenn es keine gibt, dann müssen wir sie eben erschaffen“ – nach diesem Motto schlug der Astronom Ray Jayawardhana von der Universität von Toronto kurzerhand vor, für diese Ausnahmeerscheinungen eine ganz neue astronomische Kategorie zu erschaffen, das „Planemo“.
Nach dieser Definition sind Planemos alle Objekte planetarer Masse, die keinen Stern begleiten und einerseits groß genug sind, um durch die eigenen Schwerkraft zur Kugelform zusammengeballt zu werden, andererseits aber zu klein, um Fusionsprozesse in ihrem Inneren in Gang zu setzen. Kaum war diese Ergänzung der astromischen „Schubladen“ beschlossen, stießen die Astronomen auf immer mehr Vertreter dieser neuen Zwischengruppe. Inzwischen sind mehr als ein Dutzend solcher Objekte bekannt.
„Doppel-Planemo“ torpediert Theorie
2006 aber drohte eine neue Entdeckung die frisch gebackenen Theorien über die Entstehung von Planemos direkt wieder zu torpedieren. Mit Hilfe der Teleskope der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile waren Forscher in der 400 Lichtjahre entfernten Sternenwiege Ophiuchus nicht nur auf ein, sondern gleich auf zwei Planemos gestoßen. Die Objekte von sieben und 14 Jupitermassen waren jedoch nicht isoliert, sondern umkreisten einander in extrem weitem Abstand: sechs Mal größer als der zwischen Sonne und Pluto. Optische Spektren und Infrarotbilder belegten, dass es sich bei dem nur knapp eine Million Jahre alten kosmischen Pärchen nicht um Sterne handeln konnte, sie waren dafür einfach zu kalt.
„Wir widerstehen der Versuchung, sie als ‚Doppelplanet‘ zu bezeichnen, weil sie wahrscheinlich nicht auf die gleichen Weise entstanden, wie die Planeten beispielsweise in unserem Sonnensystem“, erklärt ESO-Astronom Valentin D. Ivanov. Aber das gängige Modell der Planemo-Bildung passte leider auch nicht. Denn der Theorie nach sollen kleine Braune Zwerge und Planemos aus Sternenembryonen entstehen, die aus Mehrfach-Sternensystemen ausgeschleudert werden, bevor ihre Entwicklung abgeschlossen ist. Doch das Zweiersystem Oph 1622 hätte eine solche chaotische „Sturzgeburt“ nicht überleben können, zu schwach ist ihre Schwerkraftbindung aneinander, zu weit ihr Abstand.
„Die jüngsten Entdeckungen haben eine erstaunliche Vielfalt von Welten dort draußen enthüllt“, erklärt Jayawardhana. „Aber das Oph1622-Paar sticht heraus als das spannendste und seltsamste.“ Sein Kollege Ivanov ergänzt. „Jetzt sind wir neugierig herauszufinden, ob solche Paare häufig oder selten sind. Die Antwort könnte Licht darauf werfen, wie sich freischwebende Objekte von planetarer Masse bilden.“
Nadja Podbregar
Stand: 07.05.2010