Als die vierjährige Ashanti DeSilva im September 1990 wieder einmal im Krankenhaus liegt und eine klare Infusionsflüssigkeit in ihre Vene fließt, ahnt sie noch nicht, dass sie damit zur Hauptakteurin und Zeugin eines Meilensteins der Medizin werden wird. Für das an einer genetisch bedingten Immunschwäche leidende Mädchen ist es nur ein weiteres Glied in der langen Reihe von Spritzen und Behandlungen, die sie in ihrem jungen Leben schon erhalten hat. Für die Ärzte an ihrem Krankenhausbett dagegen ist es ein Schritt über eine symbolische Schwelle: Ashanti ist der erste Mensch, an dem die neue Technologie der Gentherapie getestet wird.
Das Mädchen ist mit der Krankheit ADA-SCID geboren worden. Durch einen Gendefekt fehlt ihr das Enzym Adenosin-Deaminase (ADA). Als Folge kann der Körper ein für die weißen Blutkörperchen giftiges Protein nicht abbauen und die für die Immunabwehr so wichtigen T- Lymphozyten reifen im Knochenmark nicht oder nur in zu geringer Zahl heran. Die von dieser Krankheit betroffenen Kinder sind allen Krankheitserregern fast vollkommen schutzlos ausgeliefert und überleben trotz Behandlung und einem Leben unter sterilen Bedingungen nur selten ihre Kindheit.
Ersatzgen per Infusion
Doch nun gibt es neue Hoffnung: Die Mediziner French Anderson und Michael Blaese vom Forschungsinstitut der amerikanischen Gesundheitsbehörde NIH haben ein Verfahren entwickelt, bei dem eine funktionierende Kopie des defekten Gens in das Knochenmark der ADA-SCID-Patienten eingeschleust wird und dort die Produktion des fehlenden Enzyms übernimmt. Zum ersten Mal setzen die Mediziner damit ihre Werkzeuge nicht an den Symptomen einer genetisch bedingten Krankheit an, sondern direkt an seiner Wurzel – dem Defekt im Erbgut.
Die Forscher entnehmen Ashanti einige ihrer wenigen verbliebenen weißen Blutkörperchen und geben im Labor ein zuvor genetisch verändertes und mit dem ADA-Gen versehenes Retrovirus hinzu. Daran angepasst, sein Erbmaterial möglichst schnell in die Wirtszelle zu bringen, erfüllt das Virus seine Aufgabe als Genfähre und „impft“ Ashantis weiße Blutkörperchen mit dem gewünschten Gen. Die so veränderten weißen Blutkörperchen werden dem Mädchen anschließend über eine Infusion wieder verabreicht.
Heilung nur vorübergehend
Nachdem diese Behandlung über vier Monate hinweg wiederholt worden ist, zeigen sich die ersten Erfolge: Ashantis T-Zellzahl steigt und erreicht fast wieder normale Werte. Allerdings hat das Kind parallel zur Gentherapie weiter das Medikament PEG-ADA bekommen, ein Präparat, das das fehlende Enzym enthält und ebenfalls einen Anstieg der T-Zellen bewirken kann. Wenige Jahre später scheint Ashanti geheilt: Ihr Immunsystem funktioniert und sie muss nicht mehr im sterilen Zelt leben. Ihre Therapie gilt daher als Meilenstein der Gentherapie, auch wenn schon damals umstritten ist, ob sie ihre Besserung tatsächlich der neuen Genmedizin zu verdanken hat.
Dennoch: Der Erfolg in diesem ersten klinischen Versuch wirkt wie ein Dammbruch. Eine wahre Flut von Anträgen für Tierversuche und klinische Tests mit anderen Gentherapieansätzen setzt ein und Wissenschaftler in aller Welt stürzen sich fieberhaft auf dieses neue, so vielversprechende Forschungsgebiet. Ein neues Zeitalter der Medizin steht, so glaubt man, unmittelbar bevor, die Erfolge scheinen zum Greifen nah. Ashanti allerdings hat nur wenig von dieser Euphorie. Denn ihre vermeintliche Heilung ist nicht von Dauer. Sie muss das ihr fehlende Enzym heute wieder regelmäßig per Spritze bekommen – ihre weißen Blutkörperchen sind defekt wie zuvor.
Nadja Podbregar
Stand: 08.02.2013