Hypothesen, warum sich der Homo sapiens gegenüber seinen Vettern durchsetzte, gibt es bisher viele. War es seine Fähigkeit zur Sprache? Seine soziale Intelligenz? Oder sein Lernvermögen und die Fähigkeit, auch in wechselnden Umwelten zu überleben?
Möglich und plausibel wären alle diese Begründungen. Das Problem jedoch: Allein auf Basis der wenigen Fossilfunde und archäologischen Relikte lässt sich nicht feststellen, wie sich die kognitiven und sozialen Fähigkeiten der noch bis vor 50.000 Jahren vorkommenden Homo-Arten voneinander unterschieden. Auch zur Frage, ob und wie gut die Neandertaler oder andere Zeitgenossen sprechen konnten, gibt es bislang keine gesicherten Daten. Eine eindeutige Erklärung für unsere heutige „Alleinherrschaft“ fehlt daher bislang.
Effektive Weitergabe ist entscheidend
Nach Ansicht des Biologen Kevin Laland von der University of St. Andrews könnte das soziale Lernen unseren Vorfahren den entscheidenden Vorsprung verschafft haben. „Es kristallisiert sich ein Konsens heraus, nach denen die Errungenschaften der Menschheit von der Fähigkeit angetrieben wurde, Wissen und Fertigkeiten von anderen zu lernen“, erklärt der Forscher. „Individuen bauten dann schrittweise auf diesem über lange Zeiträume hinweg angesammelten Reservoir an gemeinsamem Wissen auf.“
Der Haken daran: Der Mensch ist nicht das einzige lernfähige Lebewesen, das Wissen durch Innovation erwirbt und dann über Generationen weitergibt. Gerade in den letzten Jahren haben Studien bei Menschenaffen, aber auch bei Vögeln Ansätze kultureller Weitergabe entdeckt. So zeigen Schimpansen gruppenspezifische Traditionen in der Technik des Nüsseknackens und auch bei Orang-Utans haben Biologen solche über Generationen „vererbten“ Fertigkeiten beobachtet.
Umso wahrscheinlicher ist es, dass Neandertaler und Co diese kulturelle Weitergabe auch beherrschten. Immerhin entwickelten auch diese Menschenarten zunehmend komplexe Werkzeuge, waren kreativ und schufen Kunstwerke und Schmuck, wie archäologische Funde belegen.
Haben unsere Vorfahren das Lehren erfunden?
Doch möglicherweise war es die Art des Lernens, die unsere Vorfahren von ihren Vettern unterschieden: „Das Kopieren von Fertigkeiten ist in der Natur weitverbreitet, nicht aber das Lehren“, erklärt Laland. Doch gerade dieses sei eine Voraussetzung, um Fertigkeiten und Wissen präzise und auch in größeren Gruppen weiterzugeben.
„Ohne akkurate Weitergabe ist ein kumulatives kulturelles Lernen unmöglich“, so der Forscher. Seiner Ansicht nach könnte die Sprache der Faktor gewesen sein, der dem Homo sapiens hier den entscheidenden Vorsprung vor seinen Vettern verlieh. „Sprache erhöht die Präzision der Weitergabe, senkt den Aufwand und erweitert die Möglichkeiten des Lehrens“, so Laland. „Das Lehren und die Sprache könnten daher die evolutionären Gamechanger für unsere Art gewesen sein.“
Eine ähnliche Ansicht vertritt auch John Shea von der Stony Brook University in New York. „Im Gehirn des Homo erectus nahm der Teil, der die Sprache kontrolliert, noch kaum Raum ein“, erklärt er. „Eine der entscheidenden Anpassungen des Homo sapiens ist es, dass er komplexes Planen mit der Sprache und der damit verknüpften Fähigkeit der Weitergabe neuer Ideen von einem Individuum zum anderen kombiniert.“
Doch es gibt noch andere Szenarien…
Nadja Podbregar
Stand: 14.09.2018