Heute existieren weltweit unzählige Komitees, Räte und Gremien, die sich für die Einhaltung bestimmter ethischer Richtlinien in der Forschung einsetzen sollen. Die Idee einer grundsätzlichen Verantwortung des Wissenschaftlers für sein Tun hat sich durchgesetzt und scheint fast schon selbstverständlich – zumindestens theoretisch. Doch in der Praxis bleiben gerade die entscheidendsten Fragen meist ungeklärt: Kann der Wissenschaftler angesichts möglicher Risiken im Ernstfall seiner wissenschaftlichen Neugierde, dem Drang nach Erkenntnis – und natürlich auch nach Ruhm, Ehre und Drittmitteln – widerstehen?
Schon Robert Oppenheimer war dieses Dilemma sehr wohl bewusst: „Es ist eine grundlegende und notwendige Wahrheit, dass die wichtigen Dinge in der Wissenschaft nicht entdeckt wurden, weil sie nützlich oder gut waren, sondern einfach weil es möglich war, sie zu finden.“ Und an dieser Wahrheit hat sich leider bis heute nichts geändert, wie auch Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, eingesteht: „Die süße Versuchung aller Wissenschaft ist der Beweis eigener Fähigkeiten durch den Nachweis der Machbarkeit dessen, was andere bisher noch nicht zu tun vermochten.“
Doch selbst wenn ein Wissenschaftler verantwortlich reagieren will, kann eine Erfindung oder Entdeckung überhaupt zurückgehalten oder zurückgenommen werden? Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt beantwortet diese Frage in seinem Theaterstück „Die Physiker“ eindeutig mit Nein. Und auch Bill Joy vergleicht die Lage des Forschers eher mit Goethes „Zauberlehrling“: „Es ist im Bereich des Möglichen, dass die Geister die man ruft, sich selbstständig machen und nicht mehr zu bändigen sind.“
Dieses Szenario gilt in verstärktem Maße auch für eine weitere umstrittene Frage der Wissenschaftsethik: Der Frage nach der Reichweite der wissenschaftlichen Verantwortung: Ist der Forscher nur für seine Entdeckung verantwortlich oder auch für die Anwendungen, die daraus entwickelt werden?
Die Unesco fordert zwar von jedem einzelnen Forscher, die Vorgaben der wissenschaftlichen Ethik zu erfüllen, „denn er oder sie sind es, die darüber entscheiden, ob sie eine Forschungsrichtung weiter verfolgen oder nicht und wie mit den Ergebnissen verfahren wird.“ Andererseits spricht sie ihn jedoch von jeder weiteren Verantwortung frei: „Der individuelle Wissenschaftler sollte nicht für Anwendungen seiner Ergebnisse verantwortlich gemacht werden, auf die er keinen Einfluss hat.“
Doch wer sollte die Umsetzung potentiell riskanter Technologien verhindern, wenn nicht derjenige, der ihre Möglichkeiten und Gefahren am besten versteht und kennt? Die amerikanische „Association for the Advancement of Science“ (AAAS) behilft sich zumindest mit einer Minimalforderung: Wenn Wissenschaftler merken, dass ihre Entdeckungen Auswirkungen auf einen wichtigen Aspekt des Allgemeinwohls haben könnten, haben sie die Pflicht, die Öffentlichkeit auf diese Gefahren hinzuweisen. Doch damit tun sie sich nicht immer einen Gefallen…
Stand: 21.08.2001