Amino-Aceto-Nitril hat insgesamt um die 50 Linien im durchmusterten Bereich bei drei Millimeter, von denen 14 relativ zuverlässig von Linien anderer Molekülsorten getrennt werden können. Seine Identifizierung wird schon als wahrscheinlich eingestuft, da alle Linienstärken durch einen einzigen Wert von Temperatur und Häufigkeit reproduziert werden könnten. Um endgültig sicher zu gehen, bedarf es aber noch eines weiteren Schritts: Mit dem Interferometer muss gezeigt werden, dass alle diese Kandidatenlinien aus demselben Volumen einer Wolke stammen. Selbst auf Skalen von weniger als einem Lichtjahr ist nämlich die Chemie derart differenziert, dass etwa Emmission von CH3OH von einem anderen Teilwölkchen kommen mag als solche von NH2CH2CN.
Heimat in Sagittarius B2
Der noch nicht gänzlich gesicherte Nachweis von Amino-Aceto-Nitril gelang in dem molekülträchtigsten Gebiet der Milchstraße, der Large Molecule Heimat („Heimat der großen Moleküle“). Es gehört zu der Riesenmolekülwolke Sagittarius B2, die eines der aktivsten Sternentstehungsgebiete unserer Galaxis beherbergt und etwa 400 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt liegt.
Den ungewöhnlichen Namen kreierte der amerikanische Astronom Lewis Snyder von der University of Illinois aus Stolz auf seine deutsche Herkunft. Snyder ist ein Astrochemiker der ersten Stunde, die Entdeckung von Formaldehyd und vieler anderer Moleküle geht auf sein Konto. Er verbrachte das Jahr 1984 als Humboldt- Forschungspreisträger am Bonner Max-Planck-Institut, wo er Karl Menten – der dort gerade seine Doktorarbeit begann – zu einer Karriere in der Molekülastronomie inspirierte. Komplexe Moleküle finden sich im Innern dichter Wolken aus Gas und Staub. Dort werden auch neue Sterne geboren, wenn sich die Materie aufgrund der Schwerkraft zusammenballt.
Rätsel der kosmischen Chemie
Während des vergangenen Jahrzehnts entdeckten Astronomen immer mehr komplexe Moleküle in unmittelbarer Umgebung extrem leuchtkräftiger, junger Sterne. Zwar sprechen die Forscher von sehr dichten Wolkenkernen, aber nach irdischen Maßstäben handelt es sich um extrem gute technische Vakua. Interstellare Wolken haben typische Dichten von 10 hoch 2 bis 10 hoch 7 Teilchen pro Kubikzentimeter.
Im Vergleich dazu finden sich in einem Kubikzentimeter Luft 10 hoch 19 Moleküle. Selbst in den dichtesten Nebeln ist die Dichte also Billionen Mal geringer als in unserer Atmosphäre. Atome und Moleküle stoßen deshalb sehr selten zusammen. Den Astronomen war daher schon bald klar, dass komplexe Moleküle nicht in großen Mengen in der Gasphase entstehen. Wie aber funktioniert die kosmische Chemie dann?
Heute nimmt man an, dass die Oberflächen der Staubpartikel die chemischen Fabriken bilden. Atome und Moleküle treffen zufällig auf die Partikel, haften an der Oberfläche und beginnen umherzuwandern. Stoßen sie dabei auf ein anderes Atom oder Molekül, so kann es zu einer chemischen Reaktion kommen. Auf diese Weise entstehen nach und nach organische Verbindungen. Sobald im Innern der Wolke irgendwo ein neuer Stern aufleuchtet, heizt er seine Umgebung auf – und die Moleküle verdampfen von der Stauboberfläche. Jetzt sind sie in der Gasphase, wo sie sich spektroskopisch nachweisen lassen.
Stand: 03.03.2006