Krähen können sich in andere Lebewesen hineinversetzen, bauen ihr eigenes Werkzeug und planen sogar ihre Zukunft. Und trotzdem ist dieses Sammelsurium an intelligenten Fähigkeiten noch längst nicht vollständig. So beweist ein ganz besonderes Memoryspiel von Anna Smirnova von der Lomonossow-Universität in Moskau und ihren Kollegen, dass Krähen auch zu abstraktem Denken in der Lage sind.
In einer Eingewöhnungsphase machten die Wissenschaftler die Vögel zunächst mit dem Spielprinzip und dem Konzept von Gleichheit vertraut. Dazu zeigten sie den Krähen zum Beispiel ein Bild mit zwei gleichgroßen Kreisen und gaben ihnen zur Auswahl ein identisches Bild, sowie eines mit zwei verschieden großen Kreisen. Wählten die Krähen das identische Bild, bekamen sie eine Futter-Belohnung.
Größe, Form und Farbe
In einer späteren Phase des Tests gab es dann Bilder, zwischen denen keine direkte Übereinstimmung mehr vorhanden war, sondern nur noch ein abstrakter Zusammenhang bestand. Beispielsweise zeigten die Wissenschaftler der Krähe ein Bild mit zwei gleichgroßen Kreisen, das zu einem Bild mit zwei gleichgroßen Quadraten zugeordnet werden sollte, nicht aber zu einem Bild mit zwei unterschiedlich großen Quadraten.
Neben der Größe als abstraktem Zusammenhang wurden auch Form und Farbe der Symbole als verbindende Eigenschaft getestet. In den Versuchen lagen die Krähen im Durchschnitt zu 61 bis 77 Prozent richtig, je nach Aufgabenstellung. Diese hohe Trefferquote hatten sie ohne voriges Training zum Erkennen abstrakter Zusammenhänge erzielt, betonen die Forscher. Damit demonstrieren die Rabenvögel eine weitere Facette der Intelligenz, die sonst nur Menschenaffen und uns Menschen zu eigen ist.
Der Archimedes-Vogel
Je mehr wir über Raben und Krähen lernen, desto größer scheinen die Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Vogel. Die wohl ungewöhnlichste kognitive Leistung der Rabenvögel hatte schon der griechische Dichter Äsop in der Antike beschrieben. In einer Fabel erzählte er von einer Krähe, die Steine in einen Krug mit Wasser legt, um zum Trinken an das kühle Nass heranzukommen.
Heute haben Forscher wie Sarah Jelbert von der Auckland University in Neuseeland diese Beobachtung vielfach durch Experimente bestätigt und sind sich ziemlich sicher: Krähen haben tatsächlich ein fundamentales Grundverständnis von Physik – genauer gesagt von dem Archimedischen Prinzip, also der Lehre von Wasserverdrängung und Auftrieb. In Experimenten haben Wissenschaftler den Krähen wassergefüllte Plexiglasgefäße vorgesetzt, deren Wasserstand gerade so tief war, dass sich ein auf der Oberfläche schwimmendes Leckerchen außerhalb der Schnabelreichweite befand.
Kein Bedarf an kleinen Steinen
Wie ihre Vorbilder aus der Fabel von Äsop kamen die Vögel auf die Idee, Steine in das Gefäß zu werfen. Als Folge stieg der Wasserspiegel und sie kamen schließlich an die Nahrung heran. Dabei wählten Krähen ganz gezielt größere und schwerere Steine für ihr Unterfangen aus, als wüssten sie um das Grundprinzip des Auftriebs Bescheid. Wenn die Forscher ihnen beispielsweise „falsche“ Steine aus Styropor unterjubelten, ließen sie diese sofort nach dem Anheben links liegen und benutzten nur die echten Steine.
Wenn ihnen die Leckerei in einem sandgefüllten Zylinder präsentiert wurde, versuchten sie hingegen gar nicht erst, die Füllhöhe durch Einwerfen von Steinen zu verändern. Sie erkannten offenbar sofort, dass diese Technik dort keinen Erfolg bringt. Offenbar können Krähen also die physikalischen Eigenschaften verschiedener Stoffe unterscheiden und haben eine erstaunlich gute Vorstellung von Wasserverdrängung, die mit dem Kenntnisstand von fünf- bis siebenjährigen Kindern vergleichbar ist.
Christian Lüttmann
Stand: 02.06.2017