Physik

Die Kopenhagener Deutung

Theorienstreit, Unschärfe und eine entscheidende Konferenz

Mit Ende des Jahres 1925 gibt es in der Physik zwei Theorien, die die Welt der Quanten beschreibbar machen. Allerdings scheinen Heisenbergs Matrizenmechanik und Schrödingers Wellenmechanik kaum miteinander vereinbar. Wer hat Recht?

Welche Sicht auf die Quantenwelt stimmt?
Anfang 1926 herrscht Unklarheit darüber, welche Theorie das Wesen der Quantenwelt zutreffender beschreibt: die Matrizenmechanik von Werner Heisenberg oder die Wellenmechanik von Erwin Schrödinger. © sakmesterke/ iStock

„Lokal-Aberglauben“ und „Unsinn“

„Es ist wenig überraschend, dass die Koexistenz dieser alternativen Theorien Diskussionen auslöste“, schreibt die Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson von der University of California in Berkeley. Bei ihren heftigen Debatten scheuen die Physiker auch vor markigen Worten nicht zurück: Wolfgang Pauli, der der Heisenbergschen Sicht anhängt, bezeichnet Schrödingers Wellenmechanik abfällig als „Züricher Lokal-Aberglauben“.

Heisenberg wiederum wird bei einem Vortrag Schrödingers in München wegen seiner kritischen Kommentare fast aus dem Hörsaal geworfen. In einem Brief an eine Physikerkollegen schreibt Heisenberg: “ Je mehr ich über den physikalischen Teil der Schrödinger-Theorie nachdenke, desto abstoßender finde ich sie. Was Schrödinger über die Visualisierbarkeit seiner Theorie schreibt, ist ‚wahrscheinlich nicht ganz richtig‘, mit anderen Worten, es ist Unsinn.“

Drei Sichtweisen der Quantenwelt

„Selbst die schon bald demonstrierte Tatsache, dass beide Gleichungen mathematisch äquivalent sind, beendete den Disput über die korrekte Interpretation nicht“, schreibt Carson. Tatsächlich scheinen beide Theorien auf den ersten Blick gegensätzlich, denn sie sehen die Quantenwelt aus völlig anderen Perspektiven: Heisenbergs Matrizenmechanik beruht auf der Vorstellung von nicht kontinuierlichen, gequantelten Einheiten. Demnach existieren Teilchen zwar als reale Objekte, ihr Verhalten entzieht sich aber der direkten Beobachtung.

In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Die Entdeckung der Quantenwelt
Wie Heisenberg, Schrödinger und Co unsere Sicht der Welt revolutionierten

Die Vorgeschichte
Planck, Einstein und das Wirkungsquant

Von Wellen und Teilchen
Bohr, Compton und ein Dualismus

Das Jahr 1925
Heisenberg, Schrödinger und die Geburt der Quantentheorie(n)

Die Kopenhagener Deutung
Theorienstreit, Unschärfe und eine entscheidende Konferenz

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Die Schrödingergleichung beschreibt die Quantenwelt dagegen als Kontinuum, in der Teilchen nur ein Ausdruck der zugrundeliegenden Welle sind. Die Bahn des Elektrons um den Atomkern entspricht demnach einer kreisförmigen stehenden Welle. Der dänische Physiker Niels Bohr wiederum sieht Wellen- und Teilchennatur als komplementär an: Je nach Experiment ist immer nur eines von beiden messbar, weil bereits die Messmethode das Quantenobjekt beeinflusst und definiert.

Jeder der drei Hauptprotagonisten des Streits – Heisenberg, Schrödinger und Bohr – vertritt damit zu diesem Zeitpunkt seine ganz eigene Version der Quantenphysik. Die Uneinigkeit über die korrekte Interpretation der Quantenwelt hält auch an, als Heisenberg 1926 zu Niels Bohr nach Kopenhagen wechselt.

Heisenbergs Publikation
Werner Heisenbergs Veröffentlichung zur Unschärferelation im Jahr 1927. © historisch

Die Unschärferelation

Bei einem Nachtspaziergang – so die Überlieferung – denkt Heisenberg über ein Experiment nach, in dem geladene Teilchen Spuren in einer mit Wasserdampf übersättigten Kammer hinterlassen. Diese Spuren in der Wolkenkammer belegen, dass sich bestimmte Merkmale von einzelnen Teilchen sehr wohl direkt beobachten lassen – entgegen seiner ursprünglichen Annahme. Aber warum gelingt dies nicht für alle?

Nachdem Heisenberg dies in weiteren Experimenten untersucht, kommt er zu einer weiteren bahnbrechenden Erkenntnis: Bei einem Quantenteilchen können zwei komplementäre Merkmale – beispielsweise Position und Impuls – nicht gleichzeitig präzise gemessen werden. Denn die genaue Messung des einen Merkmals verändert automatisch das zweite Merkmal und verhindert so die gleichzeitige präzise Messung. 1927 veröffentlicht Heisenberg diese Erkenntnis unter dem Begriff „Unbestimmtheitsprinzip“, heute ist sie als Heisenbergsche Unschärferelation bekannt.

Die „Kopenhagener Deutung“ setzt sich durch

Damit haben sich Heisenberg und Bohr in ihrer Sicht der Quantenwelt angenähert. Beide gehen nun davon aus, dass quantenphysikalische Vorgänge in der Natur nur über Wahrscheinlichkeiten zu beschreiben sind und dass die Messung diese Wahrscheinlichkeiten beeinflusst. Aber auch Schrödingers Sicht hat in dieser „Kopenhagener Deutung“ einen Platz: Wenn ein Quantenobjekt sich i Experiment wie eine Welle verhält, muss seine Wellenfunktion der Schrödingergleichung folgen.

Teilnehmer der 5. Solvay- Konferenz
Die Quantentheorien sind auch das beherrschende Thema bei der 5. Solvay-Konferenz im Jahr 1927. Namentlich gekennzeichnet sind einige der Pioniere der Quantenphysik. © historisch

Im Oktober 1927 ist die „Kopenhagener Deutung“ das Hauptthema auf der fünften Solvay-Konferenz in Brüssel, bei der sich die weltweite Physiker-Elite trifft. Unter den 29 Teilnehmern sind neben Heisenberg, Schrödinger und Bohr auch Max Born, Louis de Broglie, Paul Dirac, Wolfgang Pauli und Einstein. Letzterer lehnt die Vorstellung einer von bloßen Wahrscheinlichkeiten und Zufall geprägten Quantenwelt vehement ab – „Gott würfelt nicht“, so Einsteins berühmt gewordener Ausspruch dazu.

Dennoch setzt sich die „Kopenhagener Deutung“ durch und damit die von Bohr und Heisenberg vertretene Sicht der Quantenwelt. Heisenberg schreibt später dazu: „Die Diskussionen zwischen Bohr und Einstein beherrschten die Konferenz, und wenn es auch nicht gelang, Einstein davon zu überzeugen, dass die neue Deutung der Quantentheorie in jeder Weise befriedigend sei, so musste Einstein doch schließlich zugeben, dass sie in sich geschlossen und widerspruchsfrei war.“

Die Ära der Quantenphysik beginnt

Damit ist der Grundstein für eine übergeordnete und gleichzeitig praktisch nutzbare Quantentheorie gelegt. „Unabhängig davon, welche Lehren man aus der Quantenmechanik zieht, scheint sie zu funktionieren. Sie integriert nicht nur elegant die bisherigen Quantenphänomene, sondern öffnet auch die Tür zu neuen Anwendungen“, erklärt die Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson.

Die Physik hat nun die wesentlichen Werkzeuge, um Phänomene wie die Spektrallinien, das Verhalten der Elektronen oder die scheinbar widersprüchlichen Effekte des Welle-Teilchen-Dualismus zu erklären. Zwar sind Ende 1927 noch immer nicht alle Detailfragen der Quantenmechanik geklärt, aber die Basis steht. Die Ära der Quantenphysik hat damit endgültig begonnen.

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