Am Ende des Perm vor rund 252 Millionen Jahren durchlebte die irdische Lebenswelt ihr schlimmstes Massenaussterben. Innerhalb von wenigen zehntausend Jahren fielen fast drei Viertel der Landlebewesen und 90 Prozent der Meeresbewohner einer fatalen Kaskade von Vulkanausbrüchen, Treibhausgasen und umkippenden Meeren zum Opfer.
Unsere Urahnen und ein „Urweltdackel“
Doch kurz vor dieser erdgeschichtlichen Katastrophe machte die Evolution noch einen entscheidenden Schritt nach vorn: Die Ururahnen der Säugetiere entstanden – erstaunlich säugetierähnliche Reptilien. Diese Therapsiden trugen bereits ein Fell und waren im Gegensatz zu ihren primitiveren Verwandten wahrscheinlich schon warmblütig. Quasi auf Tuchfühlung mit diesen Vorfahren der Säugetiere kommt man in der Korbacher Spalte, einer mit feinkörnigem Sedimentgesten gefüllten 20 Meter tiefen und vier Meter hohen Kluft im Kalkstein dieses nordhessischen Gebiets.
In dieser am Ende des Perm-Zeitalters entstanden Spalte haben sich besonders viele fossile Überreste der weltweit seltenen Therapsiden erhalten. Besonders berühmt: Procynosuchus, der wegen seiner gedrungenen Gestalt und der kurzen Beine auch den Spitznamen „Urweltdackel“ trägt. Er bildet stammesgeschichtlich eine Brücke zwischen den Reptilien der Permzeit und den in der Trias erstmalig auftretenden Säugetieren. Damit ist Procynosuchus ein echtes „Missing Link“ der Evolution. Der Fund in der Korbacher Spalte ist zudem der bisher einzige Nachweis dieser Art auf der Nordhalbkugel der Erde.
„Doppelzahn“ und seine Zeitgenossen
Procynosuchus war damals aber keineswegs allein: Mit ihm haben Paläontologen Skelettfragmente von mindestens zehn verschiedenen urzeitlichen Landwirbeltieren entdeckt. Unter ihnen weitere Dicynodontier: plumpe, kaum ein Meter lange, pflanzenfressende Lebewesen, die tatzenbewehrten Schweinen mit Schildkrötenklopf ähnelten. Skurril auch: Obwohl die Dicynodontier nur eine schnabelähnliche Kauleiste besaßen, trugen sie im Oberkiefer lange, nach unten aus dem Maul herausragende Eckzähne – ihnen verdanken sie ihren Namen, der „zwei Hundezähne“ bedeutet.
Neben den Fossilien dieser Säugetiervorfahren finden sich in der Gesteinsspalte aber auch Fossilien des spektakulären Kupferschiefer-Reptils Protorosaurus. Diese langhalsigen Archosaurier gelten als frühe Verwandten der Ururahnen der Dinosaurier und entwickelten sich ebenfalls am Ende des Perm – kurz vor dem großen Massenaussterben. Der versteinerte Mageninhalt dieser Ursaurier verrät, dass Protorosaurus ein Pflanzenfresser war, der sich von den Samen des oberpermischen Nadelbaums Ullmannia ernährte.
Insgesamt bietet die Korbacher Spalte damit einen weltweit einmaligen Einblick in die landlebende Tierwelt vor 250 Millionen Jahren. Bislang wurden hier weit über 2.000 Fundstücke geborgen. Vergleichbare Faunen sind weltweit bisher nur noch aus Fundstellen in Nord-Russland, dem Karoo-Becken in Südafrika und aus Sambia bekannt.
Ein plötzlicher Riss
Doch wie entstand diese zweitälteste fossilienführende Spalte der Welt? Sie verdankt ihre Entstehung zum einen dem Hin- und Her des Zechsteinmeeres. Denn vor rund 255 Millionen Jahren lag hier zunächst eine trockene, karge Ebene. Trotz des nahen Meeres herrschte ein extremes Wüstenklima, es gab nur wenige Wasserstellen, an denen sich die Tiere der Umgebung sammelten. Als jedoch auch diese trockenfielen, verdursteten viele von ihnen und es entstanden regelrechte Tier-Friedhöfe.
Als dann doch wieder sintflutartige Sturzregen fielen, schwemmte das Wasser Boden und Skelette in einem breiten Schlammstrom in die Korbacher Bucht. Wenig später riss dann ein Erdbeben oder anderes tektonisches Ereignis einen tiefen Spalt in den Untergrund. Heftige Sturzregen spülten nun den knochendurchsetzten Schlamm in diesen Riss hinein, dabei wurden die Tierknochen auseinandergerissen und vielfach auch zerbrochen. Diese Bruchstücke sammelten sich in der frischen Spalte und wurden dann im Laufe der Zeit mit weiteren Ablagerungen überdeckt.
Abgeschlossen von der Oberfläche überdauerten die Fossilien in diesem dunklen Grab die Jahrmillionen – bis sie der Geologe Jens Kulick sie im Jahr 1964 bei Grabungsarbeiten an der Korbacher Spalte entdeckte. Heute tragen sie dazu bei, uns einen faszinierenden Einblick in ihre urzeitliche Lebenswelt zu geben.