Als die Plattentektonik sich etablierte, brachte sie einen entscheidenden Wandel für die gesamten Geowissenschaften und für ihre Sicht auf unseren Planeten mit sich. Von Vielen wird sie daher heute in eine Reihe gestellt mit anderen revolutionären Umbrüchen wie der Evolutionstheorie Charles Darwins und der Relativitätstheorie Albert Einsteins.
Doch inzwischen ist die klassische Auffassung der Tektonik als quasi mechanischer Prozess von der Bewegung und Kollision starrer Platten bereits wieder in Auflösung begriffen. „Neuere Erkenntnisse zeigen die Plattentektonik als ein sich selbst regulierendes System von Wechselwirkungen, in dem alle Subsysteme des Planeten Erde mitwirken“, erklärt Onno Oncken, Direktor des Departments „Geodynamik“ am GeoForschungszentrum Potsdam. „Es handelt sich nicht um ein mechanisches System, sondern um komplexe, rückgekoppelte Prozesse.“
Klima bestimmt Gebirgsform
Beispiel Klima: dass Hochgebirge einen entscheidenden Einfluss auf das Klima haben, ist verständlich. Aber dass das Klima seinerseits die Tektonik steuert, ist eine neue Erkenntnis: Die Anden beispielsweise entstehen durch die Kollision der Nazca-Platte mit Südamerika. Das feuchte Klima der Süd-Anden führt zum Abtragen von Gebirgsmaterial, das als Sediment im Pazifik landet. Die von Westen herankommende Nazca-Platte lagert dieses Gestein an der südamerikanischen Kruste an.
Das aride Klima der Nord- und Zentral-Anden hingegen lässt kein Sediment entstehen, daher raspelt die Nazca-Platte hier die kontinentale Kruste ab. Die dabei stark erhöhte Reibung überträgt ihrerseits eine Kraft, die das Andenplateau in die Höhe und Breite wachsen lässt. Das wiederum verstärkt den Regenschatten an der Westseite der Anden und verringert die Erosion zusätzlich. Auch die klassische Vorstellung eines Faltengebirges als Resultat eines Zusammenstoßes musste in die Revision: „Die Anden beispielsweise, in ihrer heutigen Form, existieren erst seit rund 45 Millionen Jahren, das Abtauchen der Nazca-Platte unter Südamerika dauert aber schon seit dem Paläozoikum an, also Hunderte von Millionen Jahren länger“, sagt Oncken.
Hitzestau und Schweißbrenner
Ebenso ist das Wechselspiel zwischen den aufsteigenden heißen Gesteinsmassen und der Erdkruste viel komplexer als ursprünglich angenommen. Steigt eine heiße Gesteinsblase auf, so wirkt die schlecht wärmeleitende Lithosphäre als Grenzschicht zur Oberfläche wie eine Wärmedecke, wodurch wiederum die Temperatur unterhalb weiter ansteigt. Dieser Hitzestau kann schließlich wie ein Schweißbrenner ganze Kontinente bis zur Auflösung durchweichen, etwa vor 140 bis 130 Millionen Jahren, als Gondwana zuerst im Osten, dann im Westen auseinanderbrach.
„Wegeners Ansatz war der Startpunkt, die Plattentektonik des vorigen Jahrhunderts die Revolution in den geowissenschaftlichen Auffassungen. Heute sehen wir eine ebenso gründliche, leise Revolution in der Theorie der Plattentektonik, weil wir unseren Planeten zunehmend als ein Gesamtsystem verstehen“, konstatiert Oncken.
Nadja Podbregar
Stand: 06.01.2012