Ralf W. Schmitz erklärt warum die Forscher gerade mitochondriale-DNA für den Vergleich zwischen Homo neanderthalensis und Homo sapiens verwenden: „Die mtDNA weist eine fünf bis zehnmal höhere Evolutionsrate auf als Kern-DNA. Die Evolutionsrate ist dabei ein Maß für die Veränderungen einer Gen-Sequenz pro Zeiteinheit. Außerdem“, fügt er hinzu, „weil auf einen Satz Kern-DNA einige Hundert bis 10.000 mtDNA-Stränge entfallen, sind die Chancen der Erhaltung von mtDNA entsprechend größer.“
Genau hingeguckt
Für den Vergleich von Neandertaler und Mensch analysierten Krings und seine Kollegen besonders aussagekräftige Abschnitte der mtDNA. Mittels der DNA-Sequenzierung ermittelten sie die genaue Nukleotidsequenz dieser Abschnitte, das heißt, sie kannten die genaue Abfolge der einzelnen Basenpaare des Genstückes, sowohl vom Neandertaler als auch von den untersuchten 994 Probanden der Spezies Homo sapiens aus allen Teilen der Welt. Anschließend verglichen sie zunächst die Sapiens-Sequenzen untereinander und ermittelten, an wie vielen Stellen sich ihre mtDNA voneinander unterschied. Es waren durchschnittlich acht Positionen von 379 Basenpaaren.
Im Vergleich mit der Sequenz des untersuchten Neandertalers sind es hingegen durchschnittlich 27 Positionen, also mehr als dreimal so viel. „Damit liegt der Neandertaler ganz am Rand der Variationsbreite der mtDNA heute auf der Erde lebender Menschen“, fügt Ralf Schmitz hinzu.
Kein moderner Europäer?
Schließlich verglichen die Wissenschaftler ihre Proben mit der entsprechenden Sequenz unseres nächsten Verwandten, dem Schimpansen. Die Abschnitte unterscheiden sich an 55 Positionen vom modernen Menschen. Krings und Co. errechneten dann mittels der „molekularen Uhr“, dass Homo sapiens und Homo neanderthalensis erst vor 500.000 Jahren aus einem gemeinsamen Vorfahren hervorgingen, also später als bisher angenommen.
Der Vergleich der Neandertaler-Sequenz mit den Sequenzen der Vertreter einzelner Kontinente ergab, dass der „Düsseldorfer“ keinesfalls mit den modernen Europäern näher verwandt ist, als mit anderen modernen Populationen, was zu erwarten gewesen wäre, wenn der moderne Europäer ein direkter Nachfahre des Eiszeitjägers ist.
„Alles in allem stehen die Resultate in klarem Widerspruch zum „multiregionalen“ Modell, während sie das Modell „Out of Africa“ stützen“, fasst Schmitz zusammen. „Außerdem hat der Neandertaler nach unserer Untersuchung keinen Beitrag zum aktuellen menschlichen Genpool geleistet“.
„Der Neandertaler ist raus!“
Diese Ergebnisse wurden inzwischen durch eine weitere Analyse eines zweiten Genabschnitts desselben Neandertalers bestätigt. Im Mai diesen Jahres vermeldeten die Agenturen der Welt dann zum dritten Mal den Sieg von „Out of Africa“ und das „Aus“ für den Neandertaler. Dabei hatten die Wissenschaftler immer nur von Annahmen und Hinweisen gesprochen.
„Das haben wir ja so nie gesagt“, wehrt sich Schmitz. Das renommierte Wissenschaftsmagazin „Cell“ hatte bereits vor zwei Jahren auf seinem Titelblatt den Eiszeitjäger aufs Abstellgleis befördert. „Da hat sich die Redaktion wohl etwas zu sehr mitreißen lassen“, bemerkt Ralf Schmitz und fügt hinzu: „Seitdem müssen unsere Mitarbeiter auf Kongressen ständig erklären, wie wir denn eine solche Aussage machen könnten“.
Nur ein Einzelfall
Niemand hatte hinterfragt, wie repräsentativ die Ergebnisse wirklich sind. Ralf Schmitz sagt selber, dass die Analyse der DNA eines einzigen Neandertaler-Exemplars statistisch eigentlich nicht sehr aussagekräftig ist. Das Ergebnis könnte also auch reiner Zufall sein. „Allerdings handelt es sich bei dem untersuchten Exemplar, um einen anatomisch ganz normalen, durchschnittlichen“ Neandertaler“. Kein wirklich schlagendes Argument.
Auch dass die DNA aus den Mitochondrien stammt, und damit nur die mütterlichen Linien der Eiszeitjäger und der modernen Menschen repräsentiert, macht die Sache nicht unbedingt wasserdichter. Im Gegenteil. Durch Ausdünnungseffekte könnte sich die mtDNA des einen Neandertalerexemplares derart von unserer unterscheiden, dass die ganze Gattung zu Unrecht ihren Platz im Stammbaum verlöre.
„Ich bin gespannt, was die Ergebnisse der Untersuchung des nächsten Neandertaler-Exemplars ergeben. Wenn die in dieselbe Richtung gehen, sieht es für die „Out of Africa“-Hypothese ganz gut aus“, merkt der Archäologe an. „Wirklich statistisch abgesicherte Daten werden wir wohl erst in zehn Jahren in Händen halten.“