Die deutschen Archäologen und ihre russischen und mongolischen Kollegen hatten bei einer Expedition im Jahr 2006 vier so genannte Eiskurgane unter die Lupe genommen. Kurgane sind Grabhügel mit manchmal mehreren Dutzend Metern Durchmesser und vier bis fünf Metern Höhe, die ab der Jungsteinzeit, etwa 10.000 Jahre vor heute, bis ins Mittelalter hinein angelegt wurden. In Südsibirien und im Altai liegen solche Gräber bis heute im Permafrost, weshalb die Gräber und die Grabinhalte besonders gut konserviert und erhalten wurden.
Wertvoll wie Ötzi
Parzinger und seine Kollegen bargen aus einem der Kurgane eine nahezu vollständig erhaltene und angekleidete Eismumie, einen blonden Mann, der dem Reitervolk der Skythen angehört hatte. Mit im Grab lagen zwei gezäumte Pferde und zahlreiche weitere Grabbeigaben wie Schmuck, Waffen und Trinkgefässe.
Weil der Krieger und der sonstige Grabinhalt so gut erhalten waren, gelänge eine immer lebensechtere Rekonstruktion der Vergangenheit, so Parzinger. „Der Fund aus der Mongolei ist ein Lichtblick in der Skythenforschung.“
Krankheitsgeschichte unter der Lupe
Mittlerweile wurde die Eismumie in der Universitätsklinik in Göttingen zahlreichen Untersuchungen unterzogen. Demnach lebte der Mann vor etwa 2.300 Jahren und starb im Alter von etwa Ende 50 oder Anfang 60 Jahren. Er gehörte der oberen Mittelschicht an, war wahrscheinlich Rechtshänder und etwa 1,67 Meter groß. In der Jugend sei er körperlich gut trainiert gewesen, so das Gutachten der Mediziner in Göttingen, habe sich aber in seinen letzten Lebensjahren körperlich nicht mehr stark beansprucht.
Die Göttinger Ärzte lieferten auch ein umfangreiches Dossier der Krankheiten des Skythenkriegers. Demnach litt er an einer Arthrose der Wirbelkörper und der großen Extremitätengelenke, einer nicht vollständig verheilten Fraktur der linken Speiche, an ausgeprägten Zahnfleischerkrankungen sowie an chronischer Kieferhöhlen- und Stirnhöhlenentzündung. Er sei auf keinen Fall Ackerbauer, sondern Nomade gewesen, hätte hauptsächlich Fleisch gegessen und schlechte Mundhygiene betrieben.
Anfänge der Seidenstraße
Laut Hermann Parzinger sei eine der wichtigsten Erkenntnisse der Grabung in Ojgor-Gol die deutliche Ähnlichkeit zwischen dem Krieger aus dem Altai mit Funden aus einem Grabhügel in der Taklamakan-Wüste in China. Dies deute darauf hin, dass es bereits viel früher als bisher angenommen Kontakte zwischen östlichen und westlichen Kulturen gegeben haben muss. In China hatte sich in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends vor Christus bereits ein „Netz aus Fernverbindungen“, so Parzinger, herausgebildet – die spätere Seidenstraße.
Die Mumie selbst ist mittlerweile wieder in der Mongolei und der dortigen Akademie der Wissenschaften anvertraut. Die Auswertung des Fundes wird allerdings sicher noch einige Jahre andauern.
Klima nagt an Eiskurganen
Über eines sind sich die Archäologen jedoch klar: Sie stehen unter enormem Zeitdruck. Möglicherweise gibt es noch zahlreiche solch gut erhaltenen Gräber aus der Skythenzeit – doch die Klimaerwärmung macht vor den Eiskurganen nicht halt, der auftauende Permafrost-Boden im Altai könnte die Hügel nach 2.500 Jahren Dauerfrost schließlich doch zerstören.
Das UNESCO-Welterbe-Komitee hat deshalb ein Projekt initiiert, bei dem zum einen eine vollständige Liste der Kurgane im Altai erstellt werden soll. Danach wolle man mit Satellitentechnik und modernen geophysikalischen Methoden die tatsächlich gefrorenen Gräber identifizieren und schließlich genau überprüfen, welche Gräber in welchem Zustand seien, wie schnell der Permafrost an dieser Stelle bereits aufgetaut sei und wie schnell das Schmelzen voranschreite.
Die UNESCO fordert jedoch auch Engagement der betroffenen Länder ein, Russland, Kasachstan, Mongolei und China. Sie könnten eine Aufnahme der Eiskurgane des Altai ins UNESCO-Welterbe beantragen, um somit die Aufmerksamkeit für das Problem und finanzielle Unterstützung zu gewinnen – bisher hat jedoch keines der Länder den Antrag gestellt.
Stand: 12.09.2009