Im Vergleich zum Vorbild Natur nehmen sich selbst heute, im Zeitalter der modernen Technik, viele Errungenschaften des Menschen noch immer eher kläglich aus: Verglichen mit den akrobatischen Flugkünsten der Stubenfliege muß selbst der modernste und wendigste Hubschrauber passen. Die hohle, sich selbst tragende Turmkonstruktion eines einfachen Grashalms ist in der Architektur bisher nicht realisierbar und auch die komplexe aber anpassungsfähige Struktur der tierischen und menschlichen Sinnesorgane ist technischen Sensoren noch immer weit überlegen.
Die Natur scheint ein geradezu unerschöpfliches Reservoir an genialen – und oft genial einfachen – Lösungen parat zu haben. Was liegt näher, als sich diese zum Vorbild zu nehmen? Die Bionik, eine Wissenschaft an der Grenze zwischen Technik und Biologie, tut genau dies. Als Grenzgänger zwischen den Disziplinen forschen ihre Vertreter nach den Prinzipien, die hinter den Konstruktionen der Natur stehen und versuchen, diese Prinzipien in die Technik zu übertragen.
Der Begriff Bionik wurde 1958 auf einem Kongress in Dayton/Ohio vom amerikanischen Luftwaffenmajor J.E.Steele geprägt. Er sollte das „Lernen aus der Natur für die Technik“ verdeutlichen. Oder, wie der deutsche Vorreiter der Bionik, Werner Nachtigall, es formulierte: Lernen von der Natur für ein eigenständiges technisches Gestalten.
Wenngleich der Begriff neu war, bezeichnete er doch nur eine seit Jahrhunderten immer wieder versuchte Verfahrensweise. Schon das Allroundgenie Leonardo da Vinci entwarf um das Jahr 1500 eine Reihe von Flugapparaten nach dem Vorbild von Vogelschwingen und den rotierenden Samen des Ahornbaums. Bis sich jedoch ein Mensch mit flügelähnlichen Konstruktionen tatsächlich in die Luft erhob, sollte es noch rund 400 Jahre dauern, denn da Vinci’s Apparate waren nicht flugtüchtig. Zu sehr beruhten sie noch auf einer bloße Nachahmung des natürlichen Vorbilds, ohne Berücksichtigung von fundamentalen physikalischen Gesetzen.
Stand: 21.03.2002