Phänomene

Die Polizisten unter den Hirnzellen

Mikrogliazellen als Helfer in der Not

Nach lokaler Verletzung einer Blutkapillare wird eine Mikrogliazelle aktiviert. Die Zelle reagiert mit einem gezielten Auswachsen von Zellfortsätzen innerhalb von Minuten und einem Abdichten des beschädigten Gefäßsegments. © MPI für medizinische Forschung

Einen Schadensfall im Gehirn von Mäusen simulierten die Max-Planck-Forscher um Fritjof Helmchen, indem sie mit einem Laser ein kleines Gefäß verletzten und so eine Blutung auslösten, wie sie etwa bei einem durch Bluthochdruck bedingten Schlaganfall auftreten kann. Grund genug für die Polizisten unter den Hirnzellen, die Mikroglia, sofort aktiv zu werden. Jene Fortsätze, die sich im gesunden Gehirn noch eher zufällig in alle Richtungen gebildet hatten, wuchsen jetzt ganz zielgerichtet auf das lädierte Gefäß zu und dichteten das Leck ab. Außerdem beobachteten die Wissenschaftler, dass die Mikrogliazellen in den ersten Stunden nach der Verletzung mit ihren Tentakeln auch ausgetretenes Blut und Zellmaterial umschließen, das sie dann verdauen. Phagozytose heißt dieser für Zellen des Immunsystems typische Vorgang.

Abdichten des beschädigten Gefäßsegments (Blutgefäß grün, Gliazellen rot angefärbt) © MPI für medizinische Forschung

„Die Entdeckungen bestätigen die Idee, dass die Mikroglia die erste Verteidigungslinie gegen eindringende Pathogene und andere Arten von Schädigungen des Hirngewebes bilden“, kommentiert das Wissenschaftsmagazin Science die Studien der Max-Planck-Forscher. Gruppenleiter Helmchen drückt sich etwas weniger martialisch aus: „Mikrogliazellen sind sehr wahrscheinlich an den verschiedensten Erkrankungen des Gehirns beteiligt.“

Bald neue Erkenntnisse über Alzheimer und Parkinson?

Mehr über ihr Verhalten zu erfahren, könnte deshalb entscheidende Erkenntnisse zu den Mechanismen so schwerer Leiden wie Alzheimer oder Parkinson liefern. „Um diese Krankheiten zu untersuchen, benutzt man genetisch entsprechend veränderte Mäuse. Mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie ist es jetzt möglich, über Wochen und Monate hinweg zu beobachten, welche Veränderungen im Gehirn dieser Tiere auftreten“, sagt Helmchen. Ob und wie bestimmte Medikamente wirken, lasse sich auf diesem Wege ebenfalls klären.

Helmchen erhofft sich aber auch Antworten auf eine Frage, die der neurowissenschaftlichen Grundlagenforschung auf den Nägeln brennt. Wie funktioniert die neuronale Kommunikation in Netzwerken aus einigen hundert Nervenzellen und den sie umgebenden Gliazellen? Die Zusammenarbeit verschiedener Hirnareale wird mittlerweile relativ gut verstanden, ebenso die Erregung einzelner Neuronen. „Über die Ebene dazwischen, also die Erregungsmuster von Zellpopulationen in einem lokal begrenzten Bereich von etwa einem Millimeter Durchmesser, ist aber nur sehr wenig bekannt, weil geeignete Untersuchungsmethoden bislang fehlten“, sagt der Wissenschaftler. „Die Zwei-Photonen-Mikroskopie schließt genau diese Lücke.“

Optische Sonden – so dünn wie Nadeln

Denn die elektrische Erregung von Nervenzellen geht stets mit Veränderungen der intrazellulären Kalziumkonzentration einher. Und diese Veränderungen lassen sich mithilfe von kalziumsensitiven Farbstoffen auf den fluoreszenzmikroskopischen Bildern sichtbar machen. „Über das Kalziumsignal können wir die Aktivitätsmuster eines neuronalen Netzes optisch auflösen“, erläutert der Forscher.

Momentan müssen die Versuchstiere dazu noch narkotisiert werden, doch Helmchen rechnet fest damit, dass sich das demnächst ändert. Denn die Miniaturisierung der Zwei-Photonen-Mikroskopie macht rasante Fortschritte. „Bald gibt es optische Sonden, die so dünn sind wie kleine Nadeln und sich ins Gehirn implantieren lassen.“ Dann wird möglich, was bislang eher nach Science-fiction klang: Einem wachen Organismus, dessen Verhalten keinerlei Einschränkungen unterliegt, mit dem Mikroskop beim Denken zuzuschauen.

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Stand: 26.07.2007

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Inhalt des Dossiers

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