Ägypten ist für seine zahlreichen Pyramiden zwar weltberühmt, aber längst nicht das einzige Land mit Bauwerken dieser Art. Pyramiden wurden zum Beispiel auch im Sudan und Iran, in Kambodscha, China, Mexiko und Guatemala errichtet. Ihre Bauweisen und vermuteten Zwecke unterscheiden sie jedoch zum Teil sehr deutlich von den ägyptischen Pyramiden.
Schatten- und Klangspiele in Mexiko
So handelte es sich bei den terrassenförmigen Steinpyramiden der Maya in Mexiko, Guatemala und Belize zum Beispiel vorrangig um Orte der Götterverehrung und nicht um Grabmäler. Wer ihre steilen Stufen erklimmt, findet an der Spitze mitunter einen kleinen Tempel vor. Doch auch die Treppen selbst besitzen bei manchen Maya-Pyramiden symbolische Bedeutung. So zählt die 30 Meter hohe Pyramide des Kukulcán in Chichén Itzá zum Beispiel 365 Stufen – so viele wie Tage im Jahr.
Auch viele andere Details der um das Jahr 1000 nach Christus errichteten Maya-Pyramide spiegeln Konzepte des Kalenders wieder. Besonders deutlich wird das an den Tagundnachtgleichen im März und September. Dann wirft die Sonne einen Schatten auf eine der Pyramidentreppen und erweckt so den Eindruck, eine Schlange krieche dort hinab. Sie stellt den gefiederten Schlangengott Kukulcán dar, dem die Pyramide gewidmet ist.
Das Bauwerk hält sogar noch eine weitere Besonderheit bereit: Stellt man sich vor die Treppe an der Nordflanke und klatscht in die Hände, hallt ein ganz besonderes Echo zurück – der Ruf des Quetzal, des heiligen Vogels der Maya. Wie den Erbauern dieser Effekt gelang, stellt Akustiktechniker bis heute vor Rätsel. Nicht umsonst ist die Maya-Stadt Chichén Itzá mitsamt ihrer Pyramide eines der sieben Weltwunder der Moderne.
Lehmige „Termitenhügel“ in Peru
Auch andere Völker Mittel- und Südamerikas errichteten einst Pyramiden – darunter die Azteken und die peruanische Sican-Kultur. Ihr wird der Bau der über 200 Lehmziegel-Pyramiden von Túcume zugeschrieben, die sich auf einer Fläche von 220 Hektar südlich des Flusses La Leche erheben beziehungsweise erhoben, denn nicht alle sind erhalten. Ihre Bauweise aus ungebrannten Lehmziegeln macht sie anfällig für Erosion, vor allem weil der Bau der Pyramiden wahrscheinlich bereits Mitte des zehnten Jahrhunderts stattfand.
Doch nicht nur die Erosion hat den Pyramiden zugesetzt, sondern auch Grabräuber. Ihre trichterförmigen Tunnel haben im Laufe der Zeit zahlreiche „Krater“ hinterlassen, die die Ruinen ein wenig wie riesige Termitenhügel wirken lassen. Die Existenz von Grabräubern verrät es außerdem bereits: Ähnlich wie im alten Ägypten dienten auch die Pyramiden in Túcume wahrscheinlich einst als letzte Ruhestätte für Herrscher. Da sie allerdings Unmengen an Gold und anderen Schätzen mit in den Tod nahmen, währte ihre Ruhe nicht sonderlich lange.
Berge als Inspiration
Aber warum brauchte man auch in Mittelamerika ausgerechnet Pyramiden, um den Göttern zu huldigen beziehungsweise Herrscher zur Ruhe zu betten? Warum nicht Quader, Würfel oder Zylinder? Wenn man die geografische Entfernung zwischen den Kulturen bedenkt, scheint es unmöglich, dass die mittelamerikanischen Baumeister bei den Ägyptern abgeguckt haben, doch die Inspiration zum Pyramidenbau scheint trotzdem ähnlich entstanden zu sein: durch die Nachahmung heiliger Hügel beziehungsweise Berge.
„Die alten Maya nannten ihre Pyramiden ‚wits‘, was ‚Berg‘ bedeutet, während das aztekische Wort ‚tlatepetlalilli‘ im Codex Florentino für die gleichen Bauwerke verwendet wird. Die große Pyramide von Cholula, ein wichtiges religiöses Zentrum, wurde Tlachihualtépetl oder ‚von Hand gemachter Berg‘ genannt“, erklären Felix Levenson und Mónica Pacheco Silva von der Freien Universität Berlin. Die besondere Bedeutung der Berge stammt demnach wahrscheinlich aus Schöpfungsmythen, die denen des alten Ägypten ähneln – mit einem Ur-Berg als gelobtem Land.