Der quallenartige Tiefseeorganismus Yrr, der in Frank Schätzings Bestseller „Der Schwarm“ einen Feldzug gegen die Menschheit beginnt, ist zwar fiktiv, aber viele seiner Eigenschaften wurden bei den Quallen abgeschaut. Beispielsweise bestehen sowohl die echten Meeresbewohner, als auch Schätzings Wesen, aus einer gallertartigen Masse, die sich an Land schnell zersetzen kann. Beide besitzen außerdem die Fähigkeit der Biolumineszenz und was besonders faszinierend ist: Bei den Staatsquallen können sich mehrere Individuen zu einem einzigen großen Organismus zusammenschließen – ungefähr so, wie es bei den Yrr der Fall ist. Und es gibt noch eine Parallele: Quallen werden im Buch und in der Realität vielerorts zu einer Qual.
Einige Quallenarten können dem Menschen sogar richtig gefährlich werden. Neben der Australischen Seewespe, derentwegen in Australien sogar Sicherheitsnetze im Meer angebracht werden, vor allem die Portugiesische Galeere, die in den tropischen Regionen des Atlantiks beheimatet ist. Die Quallenarten in unseren Breiten besitzen dagegen keine starken Giftsstoffe und der Kontakt mit ihnen führt höchstens zu leichten Vernesselungen. Doch auch diese eher harmlosen Vertreter können zu einer Plage werden, sobald sie in Massen auftreten. Genau dies passiert in letzter Zeit immer häufiger, allerdings ist die Ursache dafür noch nicht eindeutig geklärt. Vermutlich ist die Massenvermehrung auf eine Anreicherung des Planktons, der Hauptnahrung der Quallen, zurückzuführen. Die kleinen Organismen profitieren vom erhöhten Nährstoffeintrag in die Ozeane und von einer Überfischung, die ihre Fressfeinde dauerhaft reduziert.
Quallen „fischen“ Fjord leer
Von ernsthaften Problemen mit Quallen kann beispielsweise manch ein norwegischer Fischer ein Lied singen. Am Lurefjord fahren die Männer bei Wind und Wetter in ihren Booten auf den grauen Meeresarm hinaus, um sich mit einem guten Fang ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Doch wenn sie heutzutage ihre Schleppnetze einholen, ziehen sie meist nur tonnenweise Quallen statt schmackhafter Fische und Krebse aus dem Wasser. Denn im Lurefjord haben sich die Nesseltiere dermaßen stark vermehrt, dass sie längst das ökologische Gleichgewicht ins Wanken bringen. Die Qualle Periphylla periphyllam vertilgt dort unzählige Jungfische und Fischeier und hat so den Fischbestand im Meeresarm so gut wie ausgerottet. Unklar ist noch, warum der Quallenbestand stabil ist, obwohl die Nahrungsgrundlage der Räuber langsam zur Neige geht. Forscher vermuten, dass die Qualle kurzfristig auf andere Nahrung umsteigt oder einfach wochenlang hungert. Den norwegischen Fischern nutzt eine solche Erkenntnis freilich wenig.
Doch solche Quallenepidemien gibt es nicht nur in Norwegen, sondern auch anderswo. So hat in weiten Teilen des Schwarzen Meeres eine nahe Verwandte der norwegischen Quallen bereits die Herrschaft übernommen und auch in der Kieler Bucht wirkt sich die Quallenpopulation auf die Fischbestände aus. Hier wildern die Jungmedusen der Ohrenqualle jährlich die schlüpfende Heringsbrut. Dabei endet in manchen Jahren fast die Hälfte aller Jungheringe als Quallenfutter – sehr zum Leidwesen der Fischer.
Wirtschaftlicher Schaden in Millionenhöhe
Nicht nur die Fischereiwirtschaft krankt mancherorts unter der „qualligen“ Massenvermehrung, auch Schifffahrt, Industrieanlagen und Kraftwerke werden immer häufiger in Mitleidenschaft gezogen. So staunten die Arbeiter des japanischen Atomkraftwerk Hamaoka im Jahr 2006 vermutlich nicht schlecht, als Quallen den Betrieb der empfindlichen Anlagen störten. Die Produktion musste deutlich heruntergefahren werden, da die „Glibberwesen“ Filter und Leitungen des Kühlwassersystems blockierten. Ein Jahr zuvor nahm man den schwedischen Reaktor Oskarshamn aus demselben Grund sogar vollständig vom Netz.
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Mit den wirtschaftlichen Folgen der Quallenflut befasst sich Ulf Bamstedt, Dozent am Meeresbiologischen Institut in Bergen und Leiter des europäischen Quallenprojekts Eurogel. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk schätzt er den Schaden, den die Tiere insgesamt in der EU verursacht haben, auf rund 600 Millionen Euro. Doch einen Plan wie man diesem Phänomen begegnen will, gibt es bislang noch nicht. Zunächst müssen die Forscher die Ursache der massenhaften Vermehrung eindeutig bestimmen. Erst dann können sie über mögliche Strategien zur Reduzierung des Bestandes nachdenken.
MSC
Stand: 15.06.2007