Ein Blick in die ferne Vergangenheit offenbart, woher wir kommen und welches Erbe wir in uns tragen. Doch was zeigt uns der Blick in die ferne Zukunft? Schreitet die regressive Evolution voran? Welche heutigen Merkmale werden irgendwann nur noch Rudimente sein? Wissenschaftler debattieren immer wieder verschiedene Ideen, wie der Homo sapiens der Zukunft aussehen könnte.
Ein Leben fernab der natürlichen Auslese?
Es wurde aber auch schon das genaue Gegenteil diskutiert: Nämlich ob die menschliche Evolution nicht vielleicht ohnehin schon komplett abgeschlossen sein könnte, weil wir durch Kultur, Medizin und technischen Fortschritt die Prinzipien der natürlichen Auslese ausgehebelt haben. Doch neuere Schätzungen gehen vom genauen Gegenteil aus: Demnach verläuft die menschliche Evolution viel rasanter als je zuvor.
Das liegt unter anderem daran, dass die Evolution beim Homo sapiens mit einem riesigen Genpool arbeiten kann. Unsere Population ist in den vergangenen 10.000 Jahren nicht nur immens gewachsen, sondern hat durch moderne Transportmittel auch die Grenzen der Kontinente überwunden. Die genetischen Kombinationsmöglichkeiten sind dadurch immens, das evolutionäre Potenzial so groß wie nie zuvor.
Weniger Zähne
Und doch hat selbstverständlich auch unser moderner Lebensstil einen Einfluss auf die Richtung, die die Evolution nimmt. Er entscheidet mit darüber, welche Merkmale sich im Laufe der Jahrtausende zu Rudimenten zurückbilden könnten. Es wird zum Beispiel vermutet, dass sich die ohnehin schon rudimentären Weisheitszähne in Zukunft komplett zurückbilden werden. Bereits heute haben 35 Prozent der Menschen überhaupt keine Weisheitszähne mehr, was darauf hindeuten könnte, dass sich diese Tendenz in Zukunft fortsetzt.
Der mittlerweile verstorbene US-Anthropologe Harry Shapiro ging außerdem davon aus, dass unser Gebiss generell weniger kräftig und widerstandsfähig werden könnte. Es würde sich dadurch noch weiter an die verarbeitete, wenig kauintensive Nahrung der Neuzeit anpassen. Zu den Veränderungen würden auch ein weiter schrumpfender Kiefer und kleinere Zähne gehören.
Adieu, kleiner Zeh
Auch unsere Füße könnten von regressiver Evolution betroffen sein. Da wir viel Zeit sitzend und wenig gehend verbringen, könnte der menschliche Fuß schwächer und flacher werden. Dabei könnte der kleine Zeh langfristig verkümmern und als reines Rudiment seiner selbst zurückbleiben. Das liegt daran, dass beim Menschen das meiste Gewicht auf einer Achse zwischen dem großen und dem zweiten Zeh lastet.
In Richtung auf den kleinen Zeh nimmt die Gewichtsbelastung – und damit die Relevanz der Zehen für das Gleichgewicht – nach und nach ab. Der kleine Zeh ist also beim Laufen am wenigsten wichtig. Jetzt schon ist der kleine Zeh bei manchen Menschen zu einer winzigen Zehe verkümmert, oft nur mit geringen Resten eines Nagels oder sogar überhaupt keinem Nagel.
Vergangenheit und Zukunft vereint
Die Evolution ist allerdings nicht bis ins kleinste Detail vorhersehbar. Wie sich der Mensch weiterentwickeln könnte, beruht auf Beobachtungen, Schätzungen und Vermutungen und ist in diesem Sinne keine exakte Wissenschaft. Dennoch: Der Gedanke, dass Körperteile, die wir als unentbehrlich erachten, für unsere fernen Nachfahren keine Rolle mehr spielen könnten, weckt unsere Faszination. Die Vorstellung sensibilisiert uns dafür, dass nichts ewig währt, dass unsere Körper eine Mischung aus Relikten der fernen Vergangenheit und potenziellen Erbstücken für die Zukunft sind.