Es gibt eine Tiergruppe, die der Dominanz des Sex in der Natur zu trotzen scheint: Rädertierchen aus der Ordnung der Bdelloidea. Diese winzigen Wassertiere leben in nahezu jedem Teich oder See und ernähren sich, indem sie organisches Material über ihr mit Cilien besetztes Räderorgan in ihren Mund strudeln. Schon seit rund 40 Millionen Jahren gibt es bei diesen Tieren aber weder Männchen noch Sex. Die Bdelloidea vermehren sich ausschließlich asexuell.

Doppeltes Rätsel
Dies ist aus gleich zwei Gründen äußerst ungewöhnlich: Zum einen gibt es von diesen Rädertierchen mehr als 360 verschiedene Arten. Wie aber konnten diese entstehen, wenn jede Genration aus genetisch identischen Klonen ihrer Muttertiere besteht? Normalerweise gilt die Rekombination der elterlichen Gene als die Haupttriebkraft für die Entstehung neuer Merkmale und damit auch der Artbildung.
Zum anderen aber stellt sich die Frage, wie die Bdelloidea es geschafft haben, Mullers Ratsche zu entgehen – der Anreicherung schädlicher Mutationen im Laufe der Zeit. Als rein asexuelle Tiergruppe fehlt ihnen die Möglichkeit, diese Genveränderungen durch die genetische Rekombination loszuwerden. Im Prinzip widersprechen diese Rädertierchen damit gleich mehreren Hypothesen zur Notwendigkeit der sexuellen Fortpflanzung.
Horizontaler Gentransfer statt Sex
Eine Lösung dieser Rätsel entdeckten Irina Arkhipova und Matthew Meselson von der Harvard University schon vor rund 15 Jahren, als sie das Erbgut dieser Rädertierchen analysierten: „Im Genom der Rädertierchen fanden wir viele Gene, die aus Bakterien, Pilzen und Pflanzen zu stammen schienen“, berichten sie. „Es ist faszinierend, dass die Bdelloiden fremde Gene rekrutieren können, die aus so unterschiedlichen Quellen stammen, und dass sie diese dann in ihrer neuen Umgebung in Funktion nehmen.“ Immerhin rund zehn Prozent des Bdelloidea-Erbguts erwies sich als artfremd.