Der El Niño und seine „kalte Schwester“ La Niña manifestieren sich zuerst im äquatorialen Pazifik – dort werden die ersten Vorzeichen des Klimaphänomens messbar. Sie verändern Ozean und Atmosphäre auf jeweils charakteristische Weise und lösen dadurch eine Kaskade von Effekten aus, die auch die großräumigen, weit über den tropischen Pazifikraum hinausgehenden Zirkulationsmuster beeinflussen.
Mit warmem Meerwasser fängt es an
Das erste Symptom des El Niño ist eine Veränderung der Meerestemperaturen im östlichen Pazifik: Entlang der Westküste Südamerikas sorgt normalerweise eine Aufwärtsströmung dafür, dass ständig kaltes, nährstoffreiches Wasser aus der Tiefe des Ozeans an die Oberfläche steigt. Dies beschert den dortigen Fischern einen reichen Fang und macht die Gewässer vor der Küste sehr artenreich. Gleichzeitig verursacht dies ein West-Ost-Temperaturgefälle im äquatorialen Pazifik: Das oberflächennahe Wasser in Südostasien ist im Schnitt acht Grad wärmer als vor der Küste Südamerikas.
Stabilisiert wird dieses Temperaturgefälle durch die westwärts wehenden Passatwinde, die das wärmere Oberflächenwasser von der Küste Südamerikas wegtreiben und so das Nachströmen des Tiefenwasser erleichtern. Die Winde stauen das warme Wasser im Westpazifik und erhöhen dort den Meeresspiegel um bis zu einen Meter. Zum Temperaturgefälle kommt dadurch auch ein Gefälle des Meeresspiegels.
Bei einem El Niño ändert sich dies: Vor der Küste Südamerikas steigen die Wassertemperaturen und der Aufstrom des kalten Tiefenwassers lässt nach. Als Folge schwindet der Nährstoff-Nachschub in den oberen Wasserschichten, die Planktonproduktion bricht ein und die Fische bleiben aus. Parallel dazu schwächen sich auch die westwärts wehenden Passatwinde ab, die normalerweise die warmen Wassermassen des Pazifiks im Westen aufstauen. Dadurch strömt das warme Meerwasser „bergab“ gen Osten und sammelt sich vor der Küste Südamerikas. Dort blockieren die warmen Wassermassen das Aufsteigen des Tiefenwassers weiter und verstärken die Erwärmung noch.
Trockenheit im Westen, Starkregen im Osten
Dies bleibt nicht ohne Folgen auf Wetter und Klima im tropischen Pazifikraum – und verursacht das zweite Symptom eines El Niño: Die normalen Wetterverhältnisse rund um den Pazifik kehren sich um. Im Ostpazifik verdunstet mehr Wasser von der aufgeheizten Meeresoberfläche und die aufsteigende warmfeuchte Luft transportiert große Mengen Wasser und Wärme in die Atmosphäre. Es bilden sich dicke Regenwolken, die sich in teilweise sintflutartigen Regenfällen über den westlichen Teilen Mittel- und Südamerikas und dem Süden der USA entleeren.
Die Folge sind häufig Überschwemmungen und Erdrutsche, ganze Ernten können in sintflutartigen Regenfällen ertrinken. Selbst die an milde und trockene Winter gewöhnten Einwohner von Florida und den anderen südöstlichen „Sonnenstaaten“ der USA müssen sich in El-Niño-Jahren auf ungemütlich nasses und kaltes Winterwetter einstellen. Entlang der Westküste des Kontinents wird es zudem stürmischer und die Erosion durch Wind und Wellen steigt.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifik herrscht dagegen Regenmangel: Die normalerweise über den tropischen Regionen Südostasiens und Ozeaniens hängenden Regenwolken verschwinden, dadurch wird es im gesamten westlichen Pazifikraum trockener. Die Folge sind Dürren und vermehrte Waldbrände in Südostasien, Australien und Teilen des südlichen Afrika.
Hadley-Zirkulation, Jetstream und Hurrikans
Doch die Symptome des El Niño beschränken sich nicht auf die Anrainer des tropischen Pazifik: Weil der El Niño den Aufstrom warmer Luft in der Äquatorregion verstärkt, verstärkt er die Hadley-Zirkulation. Diese riesige Strömungszelle transportiert große Luftmassen vom Äquator aus nach Norden und Süden bis in subtropische Breiten. „Durch den El Niño wird dieser Luftmassen-Strom in Richtung der Pole heftiger und das führt zu weltweiten Veränderungen in den Zirkulationsmustern“, erklärt Anthony Barston vom IRI-Klimaforschungszentrum der Columbia University in New York.
Eine der Folgen davon: Die Position des subtropischen Jetstreams verschiebt sich und dies wirkt sich auch auf alle weiter polwärts liegenden Luftströmungen aus. Das normalerweise etwa auf Höhe des nördlichen Wendekreises um den Globus rasende Windband kann nun bis nach Nordamerika hineinreichen. Auch südlich des Äquators kommt es zu großräumigen Verschiebungen der Luftströmungen. Diese Verlagerung lenkt pazifische Winterstürme weiter südwärts an die Küsten Chiles und Argentiniens und nordwärts nach Kalifornien und entlang der amerikanischen Westküste. Dort können starke Regenfälle und Rekordschneefälle immer wieder zu Überschwemmungen, Erdrutschen und Schlammlawinen führen.
Im Pazifikraum fördern die beim El Niño abgeschwächten Höhenwinde auch die Bildung tropischer Wirbelstürme. Weil die eher hemmenden Scherwinde nun weniger stark ausgeprägt sind, können während der sommerlichen Sturmsaison über dem Zentral- und Ostpazifik mehr starke Zyklone entstehen. Über dem Golf von Meiko und dem äquatorialen Atlantik verursachen die verstärkte Hadley-Zirkulation und der verlagerte Jetstream dagegen starke Scherwinde, die Hurrikans abschwächen oder ganz zerstreuen – atlantische Wirbelstürme werden dadurch in El-Niño-Jahren seltener.
Und Europa?
Europa liegt von allen Kontinenten am weitesten vom „Ground Zero“ des El Niño im Pazifik entfernt. Deshalb sind die direkten Auswirkungen bei uns nur wenig zu spüren. Allerdings kann die großräumige Verschiebung und Destabilisierung der normalen atmosphärischen Zirkulation auch bei uns das Wetter beeinflussen.
Ein möglicher Effekt: Die normalerweise eher über Nordeuropa hinwegziehenden Tiefdruckgebiete verlagern ihre Route etwas Richtung Süden. Dadurch kann es in El-Niño-Jahren in Skandinavien und Großbritannien etwas weniger regnen, in Mitteleuropa und dem Mittelmeerraum etwas mehr. Im Winter kann der El Niño dazu führen, dass es in Nord- und Osteuropa besonders kalt wird. Allerdings sind diese Auswirkungen nur sehr schwach und äußern sich eher in statischen Wahrscheinlichkeiten als in deutlich spürbaren Veränderungen.
Im Normalfall merken wir Europäer den El Niño deshalb vor allem dann, wenn es beispielsweise wegen Überschwemmungen und Starkregen zu Missernten in Süd- und Mittelamerika kommt und die Preise für bestimmte Lebensmittel steigen. Auch Dürren in Asien oder Teilen Afrikas können indirekte Folgen haben. Und natürlich wächst auch bei uns das Risiko für Extremwetter wie Hitzewellen, wenn der El Niño die globalen Temperaturen weiter in die Höhe treibt.