Sonnensystem

Die ungleichen Zwillinge

Warum sind Ganymed und Kallisto so verschieden?

Das Innere des Jupitermonds Ganymed ist nicht nur wegen seines subglazialen Ozeans spannend. Seine Struktur hat auch eine weitere Besonderheit: Anders als sein äußerer Nachbar Kallisto oder der nur wenig kleinere Saturnmond Titan ist sein Inneres ähnlich aufgebaut wie bei den terrestrischen Planeten des Sonnensystems. Wie sie hat Ganymed einen Kern aus Eisen und einen darüber liegenden Mantel aus silikatreichem Gestein.

Kallisto
Anders als Ganymed, der einen Eisenkern und Gesteinsmantel besitzt, ist Kallisto kaum differenziert. Unter ihrer Kruste aus Eis und möglicherweise ein wenig Wasser liegt eine Mischung aus Metall und Gestein. © NASA/JPL

Der Unterschied liegt im Kern

Besonders auffällig ist der Gegensatz zu dem nur 100.000 Kilometer von Ganymed entfernten Kalisto: Weil beide auf die gleiche Weise und in der gleichen Zone der Urwolke entstanden, waren sie zu Beginn ihrer Entwicklung sehr ähnlich. „Ähnlich wie Erde und Venus sind Ganymed und Callisto Zwillinge“, sagt Amy Barr und vom Southwest Research Institute (SwRI) in Texas. Dennoch entwickelten sich die beiden eng benachbarten Jupitermonde unterschiedlich. Ganymed bildete eine planetenähnliche Schichtstruktur, während Kallisto undifferenziert blieb. Sein innerer Bereich besteht aus einem Gemisch aus Silikatgestein und Eis, einen Metallkern hat er nicht.

Aber warum? Allein an der größeren Nähe zum Jupiter kann dies nicht liegen, wie Barr und ihre Kollegen erklären. Zwar wirken die Gezeitenkräfte des Jupiter auf Ganymed etwas stärker als auf Kallisto. Dennoch hätte selbst die dabei entstehende Hitze nicht ausgereicht, um den jungen Mond komplett aufzuschmelzen und für seine Schichtenbildung zu sorgen.

Frühes Bombardement

Schon 2010 vermuteten Barr und ihr Team daher, dass Ganymed in seiner Frühzeit einem stärkeren Bombardement durch Asteroiden ausgesetzt war als Kallisto. Denn nachdem die Phase der Planetenbildung im Sonnensystem abgeschlossen war, blieben Unmengen an größeren und kleineren Planetenbausteinen übrig. Ein Teil sammelte sich im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter, viele andere schlugen jedoch auf den jungen Planeten und ihren Monden ein und verursachten vor 4,1 bis 3,8 Milliarden Jahre die Phase des „Late Heavy Bombardement“.

„Die Einschläge in dieser Periode schmolzen Ganymed so gründlich und tief, dass die gesamte Hitze nicht so schnell entweichen konnte“, erklärt Barr. Dadurch konnte sich der junge Mond ausdifferenzieren. „Das gesamte Gestein des Mondes sank in sein Zentrum – ähnlich wie Schokoladenstückchen in geschmolzenem Eis auf den Boden sinken“, so die Forscherin. Kallisto erhielt dagegen deutlich weniger Treffer. Er kreist weiter außen und damit nicht in der dichtesten Zone der vom Jupiter angezogenen Asteroiden. Kallisto könnte dadurch nur halb so oft getroffen worden sein wie Ganymed, wie Barr und ihr Team errechneten.

Furchen
Karte der riesigen Furchen (gelb) auf Ganymed. Sie ist auf den mutmaßlichen Einschlagsort bei 20 Grad Süd und 180 Grad West zentriert. Weiße Bereiche sind junges, helles Terrain, in denen die Furchen nicht mehr sichtbar sind.© NASA

Das Rätsel der Furchen

Ganymed könnte bei diesem Bombardement sogar einen fast fatalen Treffer abgekommen haben, wie Forscher um Naoyuki Hirata von der Universität Kobe im Jahr 2020 entdeckten. Sie hatten die riesigen Furchen und Tröge näher untersucht, die die Oberfläche des großen Jupitermonds durchziehen. Diese Furchen durchziehen vor allem die älteren, dunkleren Regionen und sind tausende Kilometer lang und bis zu 700 Meter tief.

„Diese Furchen werden von allen bekannten Einschlagskratern auf Ganymed überlagert und gelten daher als die ältesten erkennbaren Oberflächenstrukturen des Mondes“, erklären die Forscher. Um herauszufinden, was die Ursache dieser tiefen Rinnen sein könnte, haben Hirata und sein Team ihre Verteilung auf Basis von Aufnahmen der Raumsonden Voyager und Galileo kartiert und mithilfe von Computermodellen analysiert.

Der größte Einschlagskrater im Sonnensystem

Das überraschende Ergebnis: Die Furchen auf Ganymeds alter Oberfläche bilden ein konzentrisches Muster aus Ringen, deren Zentrum auf 20 Grad Süd und 180 Grad West liegt. Die gesamte Struktur ist gut 7.800 Kilometer groß und erstreckt sich damit fast über den gesamten Mond. „Damit ist das Furchensystem auf Ganymed weit größer als zuvor angenommen“, erklären die Forscher. Aus der Anordnung der konzentrischen Ringe schließen sie, dass es sich dabei um die Überreste eines einst gewaltigen Einschlagskraters handelt.

Der Jupitermond Ganymed muss demnach in seiner Frühzeit von einem riesigen Asteroiden getroffen worden sein. Hirata und sein Team schätzen dessen Durchmesser auf mindestens 300 Kilometer. Sollte sich dies bestätigten, dann wäre dies der mit Abstand größte bekannte Einschlagskrater im Sonnensystem. Denn der vorherige Rekordhalter, ein Multiring-Krater auf Ganymeds Nachbar Kallisto, ist „nur“ rund 1.900 Kilometer groß.

Dieser Mega-Einschlag auf dem jungen Ganymed hatte Folgen auch für sein Inneres: „Der Impakt, der die Furchen bildete, hatte signifikante Auswirkungen auf die geologische und interne Entwicklung des Mondes“, erklären Hirata und seine Kollegen. Denn der Einschlag setzte genug Energie und Hitze frei, um Ganymed bis in seinen Kern hinein aufzuschmelzen – und schuf so die Voraussetzung für die Bildung seiner inneren Schichtung.

Auch in diesem Punkt warten Planetenforscher ungeduldig auf die Ankunft der ESA-Raumsonde JUICE im Jupitersystem. Denn seine topografische Kartierung der Mondoberfläche könnte mehr Informationen über das Furchensystem, den zugrundeliegenden Krater und dessen Entstehung liefern.

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Ganymeds Geheimnisse
Warum der größte Mond des Sonnensystems so einzigartig ist

Die vier Monde des Galilei
Besonderheiten von Ganymed und seinen Nachbarn

Ein Sandwich aus Wasser und Eis
Was verbirgt sich unter Ganymeds Kruste?

Die ungleichen Zwillinge
Warum sind Ganymed und Kallisto so verschieden?

Ein Magnetfeld im Magnetfeld
Feldlinien, Polarlichter und Ganymeds Atmosphäre

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