Wer schon einmal wissenschaftlich gearbeitet hat, kennt die Situation: Man verbringt unzählige Tage und Nächte damit, ein wichtiges Experiment oder eine Messreihe durchzuführen. Dann endlich sind die Daten da und man macht sich an die Auswertung. Doch die Ergebnisse sind enttäuschend: Da sitzt ein Ausreißer-Wert so weit jenseits der Erwartungen, dass er droht, die gesamte Aussage zu torpedieren. Oder die Daten ergeben einfach kein klares Bild und schon gar keine statistische Signifikanz.
Warum Fehler normal und wichtig sind
Und jetzt? Für Wissenschaftler beginnt an diesem Punkt normalerweise die Fehlersuche – eine der wichtigsten und oft sogar produktivsten Phasen der Forschung. Sind die Ergebnisse nicht so wie erwartet, dann gilt es, seinen Ansatz zu hinterfragen: Lief bei den Messungen etwas falsch? Ist das Experiment vielleicht gar nicht geeignet, um die Fragestellung zu untersuchen? Oder lag man möglicherweise schon bei der Hypothese falsch – so bestechend und einleuchtend sie vielleicht auch anfangs schien?
Häufig bleibt einem Wissenschaftler dann nichts anderes übrig, als das Experiment zu wiederholen oder sogar in eine ganz neue Richtung zu planen und zu denken. Nicht selten haben erst Fehler und Versehen so wichtige Erkenntnisse zutage gefördert, wie beispielsweise die „zufällige“ Entdeckung des Penicillins durch eine im Brutschrank vergessene Bakterienkultur.
Und selbst ein Genie wie Albert Einstein benötigte mehrere Jahre und unzählige falsche Anläufe, bis er endlich die Feldgleichungen für seine Allgemeine Relativitätstheorie formuliert bekam. Versuch und Irrtum sind daher kein Versagen, sondern ein integraler Teil des wissenschaftlichen Prozesses.
Unternehmer in eigener Sache
Doch genau hier liegt das Problem: Heute arbeitet kein Forschender mehr im stillen Kämmerlein und mit unbegrenzten Ressourcen an Geld oder Zeit – im Gegenteil. „Um heute erfolgreich zu sein, müssen Forscher oft Unternehmer in eigener Sache sein, deren Arbeit nicht nur durch Neugier angetrieben wird, sondern von der Jagd nach Fördermitteln, karrierepolitischen Erwägungen und Ehrgeiz“, konstatieren die US-Mikrobiologen Arturo Casadevall und Ferric Fang.
Gerade junge Forschende stehen unter einem immensen Erfolgsdruck, in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit möglichst optimale Ergebnisse zu bringen. Wiederholungen, Umwege oder gar ein Scheitern sind hier nicht eingeplant. Entsprechend viel Mut und Überwindung kostet es, in dieser Situation zu seinen Arbeitsgruppen- oder Institutsleitern zu gehen und einen Fehler oder sogar einen ganz falschen Ansatz einzugestehen.
Am Scheideweg
Und genau hier setzt die Versuchung ein: Warum lasse ich nicht einfach stillschweigend den lästigen Ausreißerwert weg – die restlichen Werte passen ja. Oder ich schöne die Daten so, dass doch noch eine statistische Signifikanz zustande kommt. Und wenn die Hypothese nicht mehr richtig passt, dann lassen sich die Ergebnisse vielleicht so uminterpretieren, dass sie doch noch die Erwartungen erfüllen.
„Wenige Wissenschaftler sind so schlau oder haben das Glück, dass sie in ihrer Karriere nicht irgendwann an einen solchen Scheideweg kommen“, sagt der US-Physiker Robert Park. Und dann müssen sie eine Entscheidung treffen: „In einer Richtung liegt das Zugeben, dass sie falsch lagen, in der anderen das Leugnen.“
Nadja Podbregar
Stand: 02.02.2018