Einige Konzepte von Maschinen Leonardo da Vincis überflügeln im wahrsten Sinne des Wortes alle anderen: seine Fluggeräte. Mit der Absicht, den Vogelflug zu imitieren, studierte Leonardo eifrig die Bewegungsabläufe von Vögeln. Vielen heutigen Ingenieuren gilt er damit als Vater der Bionik, die sich für technische Konstruktionen ebenfalls von der Natur inspirieren lässt.
Flügel nach natürlichem Vorbild
Als einer der ersten Forscher beschrieb Leonardo, wie Vögel ihre Flügel beim Abwärtsschwung spreizen und in der Aufwärtsbewegung eher anlegen. Durch umfangreiche Studien von Luft- und Wasserströmungen, auch mit Hilfe von nachgebauten Flügelmodellen, erkannte Leonardo die Bedeutung des Luftwiderstandes. Was ihm jedoch entging, war das spezielle Flügelprofil, welches für den nötigen Auftrieb sorgt und heute essentiell für Flugzeuge ist.
Mit den ersten seiner Flugmaschinen versuchte der Erfinder noch, den Vogelflug zu imitieren. Diese Maschinen waren sogenannte Ornithopter: Sie basierten auf beweglichen Flügeln, mit denen der „Pilot“ durch Muskelkraft schlagen sollte. Schnell musste Leonardo jedoch ein grundsätzliches Problem eingestehen: Menschen verfügen schlicht und einfach nicht über ausreichende Kraft, ihr eigenes Körpergewicht zusätzlich zu dem einer Maschine auf diese Weise anzuheben, geschweige denn zu fliegen. Dasselbe Schicksal betraf den Entwurf eines Hubschraubers: Eine schneckenartige Konstruktion sollte von vier Männern gedreht werden und sich so förmlich aufwärts schrauben. Auch hier reicht die Kraft bei weitem nicht für den nötigen Auftrieb.
Vom Flügelschlag zum Gleitflug
Daher verlegte sich Leonardo da Vinci auf den Gleitflug: Verschiedene Konzepte und Entwürfe zu Segelfliegern existieren in seinen Aufzeichnungen. Zumindest einige davon unterzog der Tüftler offenbar auch ersten Tests: Einer seiner Bediensteten soll sich bei einem Flugversuch mehrere Knochen gebrochen haben.
Wieder war Leonardo als Erfinder seiner Zeit voraus: Rückblickend lässt sich feststellen, dass ein funktionierender Segelflieger mit den zu Leonardos Zeit verfügbaren Materialien – wenn überhaupt – nur sehr schwer machbar ist. Es sollte noch fast vierhundert Jahre dauern, bis Otto Lilienthal 1891 als erster Mensch erfolgreich einen Gleitflug absolvierte. Der erste Flug mit einer anderen Kraftquelle als Muskelkraft schließlich gelang erst den Brüdern Wright im Jahr 1903 mit ihrem ersten Motorflug.
Auch wenn seine Fluggeräte nie funktionierten: Leonardo entwarf auch gleich die nötigen Neigungsmessgeräte für den Flug – seine einfachen Versionen des heute üblichen „künstlichen Horizonts“ für den Piloten basierten auf Pendeln. Und auch die Sicherheit eines Flugpioniers muss Leonardo bereits im Kopf gehabt haben – unter seinen zahlreichen Entwürfen befindet sich auch die Beschreibung eines Fallschirms. Dieser sah mit seiner pyramidenartigen Form zwar ganz anders aus als moderne Fallschirme, sollte aber denselben Zweck erfüllen.
Der britische Fallschirmspringer Adrian Nicholas vertraute Leonardos Genialität derart, dass er im Jahr 2000 den Fallschirm den Angaben des Erfinders getreu nachbaute und ausprobierte. Und tatsächlich: Wie von Leonardo versprochen, sank er sicher zur Erde zurück.
Ansgar Kretschmer
Stand: 26.09.2014