Technik

Die Warnungen

Auf dem Weg in die vermeidbare Katastrophe

Die Titanic auf See (hier noch während einer Testfahrt) © Karl Beutel / CC-by-sa 3.0

Sonntag, 14. April 1912, 21:30 Uhr Bordzeit. Die meisten der Passagiere an Bord der Titanic haben bereits zu Abend gegessen, einige vergnügen sich noch in den Salons, andere haben sich in ihre Kabinen zurückgezogen und bereiten sich auf die Nacht vor. Ein ganz normaler Abend auf See. Was die Passagiere und Teile der Besatzung zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Die Titanic bewegt sich in gefährlichen Gewässern. Bereits kurz nach dem Auslaufen in Southampton sind bei den Marconi-Funkern an Bord mehrere Eiswarnungen eingegangen.

So schickt der Kapitän des Schiffs „La Touraine“ seinem Kollegen Kapitän Smith auf der Titanic am 12. April die Meldung: „…dichter Nebel, Eisfeld gekreuzt auf 44.58° Breite und 50.40° Länge […] weiteres Eisfeld und zwei große Eisberge auf 45.20° Länge und 45.09° Breite…“. Diese Positionen liegen nur wenig nördlich der Route, die Smith mit der Titanic steuert. Smith bedankt sich für die Warnung und sendet zurück: „Wir haben bestes Wetter.“ Am Sonntagabend gehen weitere Eiswarnungen ein, unter anderem von der „Baltic“, der „Noordam“ und der „Caronia“. Die beiden Seemänner im Ausguck, Fleet und Lee, werden angewiesen, verstärkt nach Eisbergen Ausschau zu halten.

"Bestes Wetter" - Marconigramm von titanic-Kapitän John Smith an seinen Kollegen auf der Baltic © Marconi plc

Volldampf voraus

Da das Wetter gut ist und die Sicht trotz dunkler Neumondnacht sehr klar, entscheidet sich Smith, die hohe Geschwindigkeit der Titanic – rund 21,5 Knoten – beizubehalten. Er vermutet die Eisberge größtenteils nördlich seiner Route. In der Rückschau ein fataler Fehler, wie auch die Untersuchungskommissionen später befinden werden: „Er hat einen Fehler gemacht, einen sehr tragischen Fehler“, erklärt der Leiter der britischen Kommission, Lord Mersey. Aber eine grobe Fahrlässigkeit sei das nicht, denn andere hätten genauso gehandelt. Zu dieser Zeit ist es auf dieser Strecke durchaus üblich, bei gutem Wetter und klarer Sicht mit ungedrosselter Geschwindigkeit zu fahren.

Mit 21,5 Knoten fährt die Titanic zudem zwar schnell, aber keineswegs mit ihrer Maximalgeschwindigkeit. Dennoch wird sich noch über Jahrzehnte das Gerücht halten, die Reederei habe unbedingt das Blaue Band für die schnellste Überfahrt bekommen wollen – was neueren Erkenntnissen nach nicht stimmt.

Große Eisberge und ein Eisfeld…

Im Funkraum hat Jack Phillips Dienst – und ist im Stress. Denn er muss im Eiltempo ganze Stapel von Mitteilungen der Passagiere und der Reederei abarbeiten. Sie sollen noch an die Funkstation in Cape Race auf Neufundland übermittelt werden, bevor die Titanic außer Reichweite gerät. Mittendrin läuft erneut eine Eiswarnung ein, diesmal vom Schiff „Mersaba“: „Eis in 42 bis 41°25′ Nord und 50°30′ Länge, sah viel dickes Packeis und eine große Anzahl von großen Eisbergen, auch ein Eisfeld…“ Zum Zeitpunkt dieser Mitteilung ist die Titanic nur noch 80 Kilometer von dieser Position entfernt – das Eisfeld liegt genau vor ihr.

Eisberg © NOAA

Doch Phillips reicht diese mittlerweile fünfte Eiswarnung nicht an die Brücke weiter. Der Grund dafür: Die Mitteilung trägt nicht den Vermerk: „Masters‘ Service Gram“ (MSG). Dieser kennzeichnet Meldungen, die an den Kapitän gerichtet sind und vom empfangenden Funker sofort der Brücke mitgeteilt werden müssen. Phillips interpretiert die Warnung daher als nicht so dringend. Er legt sie lediglich im Funkraum ab und übermittelt weiter die Passagiermeldungen nach Cape Race.

Dieser Akt könnte möglicherweise das Schicksal der Titanic besiegelt haben. Der zweite Offizier Charles Lightoller schreibt dazu später in seiner Autobiografie: „Dieser Verzögerung erwies sich als fatal und war der größte Beitrag zum Verlust dieses großartigen Schiffs und hunderten von Leben.“ Denn hätte die Brücke diese Meldung erhalten, so der Offizier, dann hätte man die Fahrt verlangsamen müssen, wollte man sich nicht der sträflichen und kriminellen Fahrlässigkeit schuldig machen.

Letzte Warnung

Um 23:00 Uhr trifft eine weitere Eiswarnung ein, diesmal von der in unmittelbarer Nachbarschaft der Titanic liegenden „Californian“. Die Morsesignale der Meldung sind jedoch so laut, dass Phillips sie unterbricht und nur entnervt zurückfunkt: „Sei still, ich bin mit Cape Race beschäftigt!“. Cyril Evans, Funker an Bord der Californian, macht daraufhin Feierabend. Da er keine Ablösung hat und sein Schiff ohnehin ohne Fahrt am Eisfeld liegt, geht er ins Bett und schaltet sein Funkgerät ab. Auch das hat fatale Folgen: Denn die Californian ist das der Titanic am nächsten liegende Schiff. Sie hätte daher den Überlebenden der Katastrophe am schnellsten zu Hilfe eilen können. Doch das geschah nicht – die Californian war gegenüber dem sich schon bald nahebei abspielenden Drama taub und blind…

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Nadja Podbregar
Stand: 12.04.2012

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In den Schlagzeilen

Inhalt des Dossiers

Titanic: Untergang eines Mythos
Spurensuche hundert Jahre nach der Katastrophe

Das Schiff
Ein Ozeanriese auf Jungfernfahrt

Die Warnungen
Auf dem Weg in die vermeidbare Katastrophe

Die Kollision
Eiskoloss gegen Ozeanriese

Wasser im Bauch
Die ersten Minuten nach der Kollision

Das Ende
Die letzten Minuten der Titanic

Spurensuche
Wie konnte das passieren?

Eingebauter Schwachpunkt
Sparen am falschen Ort: die Eisennieten

Höhere Mächte
Sonne, Mond und Klima standen gegen die Titanic

Lehren aus der Katastrophe
Wäre eine Tragödie wie bei der Titanic heute noch möglich?

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