Während Menschenaffen oder Delfine längst als schlaue Wesen oder sogar Intelligenzbestien im Tierreich akzeptiert wurden, sah das bei den Tintenfischen bis vor kurzem noch völlig anders aus. Sie galten als Instinkt gesteuerte, roboterartige Tiere, die weder über Bewusstsein noch über mit Intelligenz verbundene Fähigkeiten wie Lernen durch Zuschauen, Emotionen zeigen oder abstraktes Denken verfügen.
Doch mittlerweile konnten die angeblich so primitiven Tiere die Wissenschaftler eines besseren belehren. So gelten Kraken heute beispielsweise als die intelligentesten wirbellosen Tiere und werden deshalb selbst von Forschern „Weisen der Meere“ genannt. Ihr vergleichsweise großes Gehirn sorgt dafür, dass die Tiere erstaunlich lernfähig sind. Manche Wissenschaftler stellen sie vom Problemlöseverhalten sogar mit Ratten auf eine Stufe. Das Gehirn der Weichtiere ist für solche Aufgaben sogar mit Vertikal- und Subfrontal-Lappen ausgestattet, die nur einen einzigen Zweck erfüllen: Informationsspeicherung.
Schon seit Jahren arbeiten John Forsythe und seine Kollegen am National Resource Center for Cephalopods (NRCC) mit Kraken. In ihren Verhaltensexperimenten haben sie festgestellt, dass sich die achtarmigen Tintenfische beispielsweise ohne größere Anstrengung in einem Labyrinth zurecht finden. Doch das ist längst noch nicht alles. Tintenfischforscher konnten sogar Kraken dabei filmen, wie sie mit einem Schraubdeckel verschlossene Marmeladengläser öffnen, um an Krabben oder andere Beutetiere kommen.
Andere Forscher beobachteten, wie sich Octopusse als Baumeister und Architekten betätigen: Finden sie im Meer keinen geeigneten Unterschlupf, schleppen sie Kiesel oder kleinere Felsbrocken herbei und verwandeln so eine einfache Höhle in eine unüberwindliche Burg. Dieses vorausschauende, planende Handeln ist nach Ansicht von manchen Wissenschaftlern ein Beweis für Intelligenz. Doch diese Meinung ist nicht unumstritten. Müsste dann – so die Kritiker – nicht auch das Nestbauen von Vögeln ein Zeichen dafür sein? Dieses Verhalten ist aber mit Sicherheit Instinkt gesteuert…
Forscher der zoologischen Station Neapel wiesen allerdings nach, dass sich die Tintenfische solche oder andere Verhaltensweisen auch durch Abgucken von Artgenossen aneignen. „Es existieren ernstzunehmende Hinweise, dass Kraken in der Lage sind, aus Beobachtung anderer Individuen zu lernen, und somit ein gestelltes Problem schneller lösen können als Tiere, die zuvor keinen Artgenossen dabei beobachten konnten, wie er eine erlernte Aufgabe löste. Diese Fähigkeit ist sonst nur noch von höheren Wirbeltieren bekannt“, sagt Volker Christian Miske, Diplombiologe am Zoologischen Institut und Museum der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Und weiter: „Der Gebrauch von Werkzeug, ebenfalls ein Kriterium für Intelligenz, wurde bei Kraken nachgewiesen. Dabei handelt es sich um Wasser. Sie benutzen zum Beispiel einen mit ihrem Trichter erzeugten Wasserstrahl zum Reinigen oder Erweitern ihrer Höhlen, indem sie Steine und Sand mit den Armen und der Armspannhaut zusammensammeln, sich zum Höhleneingang bewegen, die Arme öffnen und das Ganze mit einem kräftigen Wasserstrahl davonpusten.“
Mittlerweile hat man laut Miske beim Oktopus sogar unterschiedliche Persönlichkeitstypen nachgewiesen. Die einen – so der Wissenschaftler – sind eher phlegmatisch, andere ängstlich oder aggressiv. Und selbst spielende Kraken, ein Merkmal, das normalerweise nur Wirbeltiere zeigen, wurden vor kurzem entdeckt.
Stand: 29.10.2004