Lange galten analoge Rechner nur noch als bloße Kuriosität, als Steckenpferd für Fans der Computerschichte oder eigenbrödlerische Hardware-Bastler. Zwar gab es einige Analogcomputer-Pioniere wie den deutschen Informatiker Bernd Ulmann oder den US-Forscher Yannis Tsividis, die schon vor mehr als zehn Jahren an modernen Versionen der alten analogen Rechner forschten. Sie blieben aber unterfinanzierte Exoten der IT-Forschungslandschaft.
Doch das hat sich geändert. Inzwischen beschäftigen sich auch Branchenriesen wie Microsoft, IBM oder Google Research mit analoger Rechnertechnik, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat ebenfalls kürzlich die Entwicklung und Konstruktion eines Analogcomputers in Auftrag gegeben. Aber warum? Was macht Analogcomputer heute wieder interessant – und was hat sich seit den 1970er Jahren geändert?
Analog KI für neuronale Netze
Eine Antwort lautet: künstliche Intelligenz. Angesichts des rasanten Wachstums der KI-Modelle und der immer weiteren Verbreitung von KI-Anwendungen wächst der Druck auf die IT-Unternehmen, ihre Systeme energieeffizienter und unabhängiger von den weltweit knappen Grafikprozessoren und Mikrochips zu machen. Und gerade bei den neuronalen Netzwerken der KI haben Analogcomputer schon von ihrer Struktur her einen Vorteil: Auch ihr Rechnen beruht auf dem vernetzten Zusammenwirken vieler dezentraler Recheneinheiten: „Ich habe ganz viele einzelne Rechenelemente, die auf schlaue Art und Weise miteinander vernetzt sind, aber ich habe keine zentrale Verarbeitungseinheit mehr“, erklärt Ulmann.
Eine weitere Parallele: KI-Systeme wie ChatGPT, BARD, DALL-E und Co lernen vor allem durch sogenannte „Multiply-Accumulate“-Rechenoperationen. Dabei führt eine wiederholte korrekte Ausgabe dazu, dass die dafür genutzten Verknüpfungen höhere Werte ansammeln und dadurch stärker gewichtet und gestärkt werden. Solche sich kontinuierlich verändernden Werte lassen sich mit analogen Computern direkt physikalisch abbilden – beispielsweise im Stromfluss.
IBM Research vergleicht dies mit dem Unterschied zwischen analogen Polaroid-Kameras und digitalen Kamerachips oder der Langspielplatte und digitalen Musikdaten: „Die analoge Information wird als kontinuierlich variierende physikalische Quantität gespeichert – die Kerben in der Platte oder die photochemische Reaktion der Polaroid-Emulsion.“ Bei digitalen Chips müssen die entsprechenden Informationen erst in diskrete digitale Einheiten „übersetzt“ werden – das kostet Energie und es kommt der Flaschenhals beim ständigen Datentransfer zwischen Prozessor und Speicher dazu.
Erster Analogchip für KI-Sprachmodelle
Um dies zu ändern, arbeiten IBM-Forscher im Projekt „Analog AI“ zurzeit an zwei verschiedenen analogen Rechnertechnologien, die speziell im Training von KI-Systemen eingesetzt werden sollen – einem elektrochemischen und einem resistiven, auf elektrischen Widerständen beruhenden RAM-Speicherbaustein. Möglich wird dies, weil auch Analogcomputer von der Miniaturisierung der Elektronik profitieren: Sie sind längst keine schrankgroßen, von Kabelgewirr geprägten Ungetüme mehr, sondern passen auf einen Chip.
Im August 2023 hat ein Team um Stefano Ambrogio von IBM Research einen ersten Baustein für analoge KI-Systeme vorgestellt: einen analogen Compute-in-Memory Chip, der auf Basis eines elektrochemischen Phasenwechsel-Materials arbeitet. „Diese Phasenwechselmodule kodieren analoge Leitfähigkeitszustände, indem sie den Anteil ihrer kristallinen, leitfähigen und amorphen, weniger leitfähigen Phase entsprechend den zugeführten elektrischen Pulsen anpassen“, erklären die Forscher.
Der Clou dabei: Über ihren elektrochemischen Zustand können diese Analogchips das für das Lernen von künstlichen Intelligenzen wichtige synaptische Gewicht kodieren, ohne dass auch nur ein Bit an Daten bewegt werden muss. Bei ersten Tests liefen zwei auf solchen Analogchips betrieben KI-Sprachmodelle tatsächlich schneller und energieeffizienter als auf gängigen digitalen Chips.
Analogcomputer fürs Quantenrechnen
Ein zweites Gebiet, auf dem Analogcomputer Vorteile bringen könnten, sind Quantencomputer. In ihnen dienen supraleitende Quasiteilchen, Ionen oder Atome als Recheneinheiten. Anders als klassische Bits und Bytes können diese Quantenbits dank des quantenphysikalischen Phänomens der Überlagerung nicht nur Null und Eins, sondern auch alle Zustände dazwischen annehmen. Damit können sie bestimmte Probleme weit schneller lösen als gängige Computer – und sie verhalten sich dabei im Prinzip analog.
„Analogrechner fallen wie Quantencomputer in das Gebiet des Unconventional Computing. Sie sind diesen insofern ähnlich, als dass direkt ein physikalisches System als Modell für ein zu lösendes Problem dient, wobei das Auslesen von Variablen messend geschieht“, erklärt Robert Axmann, Leiter der Quantencomputing-Initiative am DLR. „Aus diesem Grund können Analogrechner voraussichtlich auch direkter mit Quantencomputern gekoppelt werden, als beispielsweise klassische speicherprogrammierte Digitalrechner.“
Quantenpunkte als analoge Simulatoren
Noch eindeutiger analog arbeiten schon heute einige Quantensimulatoren. Während die Qubits in gängigen Quantencomputern so angeordnet und gesteuert werden, dass sie digitalen Recheneinheiten wie logischen Gattern entsprechen, gehen Quantensimulatoren einen anderen Weg: Sie nutzen die Quantenbits, um über deren Zustände direkt bestimmte quantenphysikalische Prozesse abzubilden – beispielsweise die Interaktion von Atomen in einem Festkörper unter extremen Bedingungen.
Genau dies hat ein Team um Winston Pouse von der Stanford University Anfang 2023 mithilfe eines analogen Quantensimulators erforscht. Darin agieren nanoelektrische Schaltkreise basierend auf Quantenpunkten als analoge Quantensimulatoren – sie reagieren physikalische auf die gleiche Weise wie die Atome im Gitter beispielsweise eines Supraleitermaterials bei bestimmten Temperaturveränderungen.
„Wir haben damit zwar nicht einen universellen, programmierbaren Quantencomputer gebaut, der alle offenen Probleme der Physik lösen kann“, sagt Koautor Andrew Mitchell vom University College Dublin. „Aber wir können nun analoge Systeme mit Quantenkomponenten konstruieren, die ganz spezifische Probleme der Quantenphysik lösen können.“