Makro, Mikro, Nano – Immer genauer werden die Messergebnisse in der Wissenschaft. Der Fortschritt stößt in die kleinsten Datenlücken vor, um die letzten Geheimnisse zu lüften. Aber mit jeder Antwort, die die Forscher finden, stellen sich neue Fragen.
Dies gilt auch für die Forschungen am Schwerefeld der Erde. Dort sind die Geowissenschaftler in den letzten Jahren durch die Kombination lokaler Daten mit globalen Satellitenaufzeichnungen zu völlig neuen Erkenntnissen gekommen. Mit der gesteigerten Präzision der Messungen waren nicht mehr nur die Meter-Abweichungen der Geoid-Oberfläche interessant, sondern die Forscher konzentrierten sich auf Schwereanomalien im Zentimeter-Bereich, und erreichten bei einigen Messungen sogar Ergebnisse in Millimeter. Sie stießen dabei in immer wieder neue Welten vor, die bisher durch ihre Größe „unsichtbar“ waren.
Mit dem Satellitenprojekt GOCE will die Europäische Raumfahrtbehörde nun ab August 2006 wieder Geheimnisse lüften. Der Satellit wird mit einer völlig neuen Technologie die Schwere nicht nur wie bisher senkrecht von Oben messen, sondern die Anziehungskräfte aus allen Richtungen gleichzeitig aufzeichnen. Um die Störfaktoren auf ein Minimum zu reduzieren, wird der atmosphärische Widerstand erstmals nicht mehr mathematisch, sondern mechanisch ausgeglichen. Der Bordcomputer misst dafür die Ablenkung genau aus und steuert exakt die Gegenkraft des Ionenantriebs.
Eine Weltpremiere wird auch die geringe Flughöhe von nur 250 Kilometern sein, wo das Schwerefeld noch stärker ist und die Wissenschaftler dadurch größere Datenmengen aufzeichnen können. Vor allem in den feineren Messbereichen, die sonst wegfallen, werden Schwerewerte von flüssigen Gesteinsströmen im Erdmantel und dem Wassertransport der Ozeane erfasst. Während CHAMP noch mit einer Genauigkeit von fünf Zentimetern gemessen hat, und GRACE mit drei, macht GOCE die Geheimnisse der Zentimeter-Welt „sichtbar“.
Und auch dann ist noch längst nicht Schluss. 2009 wartet schon die nächste Generation von Satelliten. Mit SWARM sollen drei Sonden in einer Umlaufbahn von etwa 500 Kilometern Messungen im Millimeter-Bereich des Schwere- und Magnetfeldes der Erde durchführen.
Noch genauer sind jedoch bis heute die Messungen der Gravimeter auf der Erdoberfläche: Sie liegen im Nano-Bereich. Das GFZ Potsdam registriert in Millionstel-Millimetern die Eigenschwingungen der Erde und das „Wobbeln“ in der Erdrotation: das „Herumeiern“ der Erdachse im Radius zwischen drei und zwölf Metern.
Je besser die Auflösung der Instrumente wird und je feinere Messungen durchgeführt werden können, desto mehr Beulen und Dellen wird das Geoid bekommen: Die Falten von kleinsten Luftdruckveränderungen der Atmosphäre, großräumige Dellen, wo tropischer Regen die Kontinente belastet, Beulen von Vulkanausbrüchen und Erdbeben, die großen Wülste der Gebirge und die Wellen in der Erdkruste durch die Anziehungskraft des Mondes. Entgegen des modernen Weltbildes ist die Erde für Geowissenschaftler alles andere als eine Kugel. Eher entspricht sie wohl einem „wobbelnden“ Wackelpudding.
Die Nano-Welt der Wissenschaftler und die Alltags-Welt der Menschen
Die Menschen leben aber nicht auf einem Pudding und surfen auf keiner Mond-Welle. Tatsächlich sind alle Abweichungen von dem Normalschwerefeld für den Menschen kaum wahrnehmbar. Der höchste Punkt des Geoids beträgt gerade mal 85 Meter – und wir sehen aus dem All noch nicht mal den Mount Everest mit seinen 8844 Metern als Delle herausragen.
Auch ein Meeresspiegelunterschied von 180 Metern zwischen Indien und Neuguinea bleibt jenseits der Wahrnehmung, wenn er sich auf 7.800 Kilometern verteilt. Weder für den Blick des Astronauten noch für das Gefühl des Menschen wird sich das Schwerefeld wohl je bemerkbar machen. Es sei denn die Wissenschaftler erstellen anhand ihrer Schweremessungen ein Modell, in dem durch zehntausendfache Vergrößerung minimaler Abweichungen die Erde plötzlich zu einer verschrumpelten Kartoffel wird.
Stand: 25.11.2005