Die Kapriolen des El Niño gehören zum normalen irdischen Klimageschehen wie die Jahreszeiten oder der Monsun. Wie ein gewaltiges Pendel schwingen die wiederkehrenden Veränderungen von Wasser, Wind und Temperaturen seit Jahrtausenden zwischen Ost und West, Hoch und Tief, El Niño und La Niña hin und her.
Doch im Gegensatz zu den regelmäßigen Jahreszeiten ist der El Niño launisch und unberechenbar. Sein Kommen und Gehen ist bis heute nur schwer vorherzusagen. Zwar kennen Klimaforscher und Meteorologen die Grundzutaten für dieses Klimaphänomen, doch welche davon den Anstoß für einen El Nino gibt, ist noch immer erst in Teilen geklärt – es ist ein klassisches Henne-Ei-Problem. „Es müssen erst mehrere Zutaten aus Meer und Luft zusammenkommen, damit der ENSO wachsen und erblühen kann“, erklärt Michelle L’Heureux von Climate Predictions Center der US-Atmosphären- und Meeresforschungsbehörde NOAA.
Walker und das Luftdruckpendel
Die erste Zutat für einen El Niño entdeckte in den 1920er Jahren der britische Meteorologe Gilbert Walker. Ihm war aufgefallen, dass bestimmte Ausprägungen des indischen Monsuns oft von außergewöhnlichen Trockenperioden in Australien und Indonesien und besonders milden Wintern in Westkanada begleitet wurden. Nur ein Zufall? Oder steckte doch mehr dahinter? Walker reiste nach Indien und ging den Dingen auf den Grund.
Bald stellte er fest, dass sich die Luftdruckverhältnisse beiderseits des Pazifik eine Wippe verhielten: Stieg der Luftdruck im Osten, sank er im Westen und umgekehrt. Diese normalerweise starken Luftdruckgegensätze schienen sich jedoch alle paar Jahre abzuschwächen. Und genau unter diesen „Low-Index“-Bedingungen ereigneten sich die Trockenperioden und Monsunstörungen, die Walker bereits früher aufgefallen waren. Walker taufte die von ihm entdeckten Luftdruckbewegungen „Southern Oscillation“ – und wurde prompt von seinen Kollegen verlacht.
Bjerknes entdeckt den Zusammenhang
Erst 40 Jahre später, in den 1960er Jahren, bestätigte ein anderer Klimaforscher, Jacob Bjerknes, Walkers „Southern Oscillation“ und deckte ihren Zusammenhang mit Klimaphänomenen wie dem El Niño auf. Bjerknes beobachtete, dass die für den El Niño typischen Veränderungen der Meerestemperaturen immer dann auftraten, wenn sich gleichzeitig auch die Luftdruckunterschiede zwischen Ost- und Westpazifik abschwächten. Beide Phänomene mussten daher Teil eines einzigen großen Zyklus sein, folgerte der Forscher.
Heute fast man deshalb den El Nino und die von Walker entdeckte Southern Oscillation zu einem Phänomen zusammen – der ENSO (El Niño-Southern Oscillation) „Bjerknes erkannte, dass Ozean und Atmosphäre gekoppelt waren – Luftdruck- und Temperaturmuster sind Ausdruck von Wechselwirkungen zwischen Meer und Atmosphäre“, erklärt L’Heureux. Durch diese Feedbackschleifen zwischen beiden Systemen schaukeln sich die Bedingungen alle paar Jahre so auf, dass das ENSO-Pendel in Richtung El Niño oder aber seiner kalten Schwester La Niña ausschlägt.
Auch Aerosole mischen mit
Allerdings: Meerestemperaturen und Luftdruckunterschiede sind zwar die wichtigsten Zutaten für das ENSO-Pendel, aber nicht die einzigen. Auch andere Einflüsse können dafür sorgen, dass ein El Niño eintritt, ausbleibt oder aber eine La Niña länger bleibt als vorhergesagt.
Einer dieser Einflussfaktoren sind Vulkanausbrüche. Schon länger weiß man, dass große Eruptionen und die von ihnen ausgeschleuderten Schwefelaerosole messbare Klimaeffekte haben. Reicht die Eruptionswolke bis in die Stratosphäre, können die Schwebtröpfchen dort einen weltumspannenden Schleier bilden, der Sonnenlicht schluckt und das globale Klima abkühlt. Nach dem Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 sank die globale Mitteltemperatur beispielsweise um ein Grad und in weiten Teilen der Nordhalbkugel ging das darauffolgende Jahr als das Jahr ohne Sommer in die Geschichte ein.
Diese Abkühlung kann auch das ENSO-Phänomen beeinflussen – zumindest deuten einige Studien darauf hin. Demnach führt der Aerosolschleier und die von ihm bewirkte Abkühlung dazu, dass sich die Passatwindzone leicht nach Süden verschiebt. Als Folge schwächen sich die westwärts wehenden Winde über dem äquatorialen Pazifik ab und begünstigen damit das Auftreten eines El Niño im Jahr nach dem Vulkanausbruch. Einer anderen Hypothese wirkt sich der abkühlende Effekt einer Eruption stärker auf den ohnehin warmen Westpazifik aus und schwächt damit den Ost-West-Temperaturgradient im Ozean – und das löst dann den El Niño aus.
Die dreifache La Niña
Umgekehrt können Aerosole aber auch der kalten Schwester des El Niño zugutekommen – der La Niña. Gezeigt hat sich dies im Jahr 2020, als Klimaforscher eigentlich den Umschwung des ENSO-Pendels zu neutralen Bedingungen oder einem schwachen El Niño erwarteten. Stattdessen entwickelte sich eine starke La Niña, die fast drei Jahre lang anhielt – ein extrem seltenes und ungewöhnliches Phänomen.
Aber warum? Auf der Suche nach der Ursache stießen John Fasullo vom National Center for Atmospheric Research in Colorado und seine Kollegen auf ein Ereignis, das sich tausende Kilometer vom tropischen Pazifik entfernt in Australien abgespielt hat: die Megabrände im Südsommer 2019/2020. Die über den südlichen Pazifik und bis nach Südamerika ziehenden Rauchschwaden der Feuer verursachten eine Abkühlung des Ozeans und eine Nordverschiebung der Innertropischen Konvergenzzone.
Das wiederum schuf im äquatorialen Pazifik die Voraussetzungen für eine starke und ungewöhnlich langanhaltende La Niña. „Viele Menschen haben die australischen Brände schon längst wieder vergessen. Aber das Erdsystem hat ein langes Gedächtnis und die Auswirkungen der Feuer haben jahrelang angehalten“, sagt Fasullo.