Zwei Hypothesen, die gegensätzlicher nicht sein könnten, streiten um die Ehre, die Herkunft des „wissenden Menschen“, oder – wie der Biologe Edward O. Wilson ihn nannte – des „brabbelnden Affen“ zu erklären. Die beiden Hypothesen sind benannt nach der geographischen und genetischen Herkunft dieses Zweibeiners. Es stehen sich gegenüber: das „multiregionale“ oder „polyphyletische Modell“ (MRM) und das „Out Of Africa“ oder „monogenetische Modell“ (OAA).
Die einzige Gemeinsamkeit der beiden Modelle findet sich im vermeintlichen Vorfahren des heutigen Menschen, dem Homo erectus. Dieser breitete sich vor etwa 1,5 Millionen Jahren von Afrika über die Alte Welt aus, von Europa über den Vorderen Orient bis nach Neuguinea. Soweit belegen es die Fossilfunde.
Wo sind wir „entstanden“
Die Gattung Homo hatte ihren ersten großen Exodus hinter sich und die Welt von Afrika aus vor etwa einer Million Jahren „vom Fernen Westen bis zum Fernen Osten“ bevölkert, wie es Yves Coppens einmal beschrieb. Es entstanden sogenannte „regionale Gründerpopulationen“. Aus diesen gingen regional unterschiedliche Abkömmlinge hervor. In Europa zum Beispiel entwickelte sich der Neandertaler, der für die meisten Menschen den „Steinzeitmenschen“ schlechthin verkörpert.
Wo und wann aber tauchte der moderne Mensch auf, der heute alle Kontinente besiedelt und sich auf den Weg macht die blaue Erdkugel im All zu verlassen? Was wurde aus dem Neandertaler und den anderen Nachfolgern des Homo erectus?
Mehrmals in der Welt
Nach der Theorie des „multiregionalen Modells“ ging der feingliedrige, leichte Homo sapiens aus den regionalen Homo-erectus-Nachfolgern hervor. Demnach war der Neandertaler unser direkter Vorfahre. Dieses Modell erklärt, wie und wann die heute bestehenden anatomischen Unterschiede zwischen einzelnen Menschengruppen entstanden sind. Demnach entwickelten sich die typischen Merkmale wie etwa die stärker vorstehende Nase bei Europäern oder das flachere Gesicht bei Asiaten aus anatomischen Merkmalen der Gründerpopulationen.
Der heutige Mensch entstand also „gleichzeitig“ in vielen verschiedenen Teilen der Welt. Die große genetische Ähnlichkeit aller modernen Menschen erklärt das Modell durch gelegentliche Kreuzungen einzelner Mitglieder benachbarter Gruppen.
Die „Out Of Africa“- Hypothese
Die Verfechter der „Out Of Africa“- Hypothese gehen allerdings davon aus, dass der Homo sapiens, in ihrem Fall die archaische Variante, nur einmal entstand, und zwar in Afrika. Von hier aus kam es zum zweiten großen Exodus der menschlichen Gattung. Der Homo sapiens verbreitete sich über die Welt. Und was passierte mit den Homo-erectus-Nachfolgern? Eine Zeit lang hausten zum Beispiel Homo sapiens und Homo neanderthalensis in zeitlicher und räumlicher Nachbarschaft.
Die „Out Of Africa“-Vertreter gehen davon aus, dass der moderne Mensch und der Neandertaler mehrere 10.000 Jahre nebeneinander lebten, bis der Neandertaler vor etwa 35.000 Jahren verschwand. Genau so erging es den „Eiszeitjägern“ in den anderen Regionen der Welt. Überall wo die „Wissenden“ sich ausbreiteten, starben die „Einheimischen“ über kurz oder lang aus. Wie dieses Aussterben in der Praxis aussah, lässt sich bisher nur vermuten. Ob unser Weg blutig war bleibt Spekulation.
Nach dem OOA-Modell sind die vorhandenen regionalen anatomischen Unterschiede der heutigen Menschengruppen, die man auch als Rassen bezeichnen kann, erst in den letzten 100.000 Jahren entstanden. Die MRM-Theorie geht von 1 Million Jahren für diese geographische Diversifikation aus.
Je nachdem welchen Vertreter man befragt, belegen die Fossilien mal die eine mal die andere Theorie. Aber seit Ende der achtziger Jahre nutzen die Wissenschaftler eine neue Methoden, um der Abstammung des Menschen auf die Spur zu kommen. Sie untersuchen und vergleichen das Genom des modernen und des prähistorischen Menschen. Seit einigen Jahren ist auch eine Forschergruppe der Universität München an der Aufklärung unserer Herkunft beteiligt.