„Epochenmachend“, „Aufsehen erregend“, „ein echter Meilenstein der Wissenschaftsgeschichte“. Das sind Attribute, mit denen Kenner Dioskurides literarisches Vermächtnis beschreiben. Tatsächlich hat der griechische Arzt für seine Zeit Großes geleistet. Seine „De Materia Medica“ übertrifft sowohl vom Umfang als auch vom Kenntnisstand alles davor Gewesene.
Mit ihm beginnt eine Ära, in der sich medizinische Autoren für lange Zeit fast nur noch der Erforschung von Arzneimitteln widmen. „Dioskurides größte Leistung ist, dass er der Pharmazie eine starke Position innerhalb der Medizin verschafft hat“, sagt der Medizinhistoriker Christian Schulze von der Ruhr-Universität Bochum.
Darüber hinaus hatten Dioskurides Pflanzenbeschreibungen einen nicht unbedeutenden Einfluss auf die Botanik. Erstmals taucht bei ihm die Eigenbezeichnung „botaniké“ im Sinne von Pflanzenkunde auf – obwohl diese zu seiner Zeit keine eigenständige Disziplin ist, sondern als bloße Hilfswissenschaft der Medizin firmiert.
Rationaler Denker
In seinem Werk beweist Dioskurides teilweise schon Ansätze dessen, was wir heute als naturwissenschaftliche Arbeitsweise bezeichnen würden. Er legt seinen Ausführungen eigene Beobachtungen und logische Schlussfolgerungen zugrunde. Und: Er versucht sich weitestgehend vom Aberglauben und der Magie zu distanzieren – auch wenn ihm das an einigen wenigen Stellen doch nicht so recht gelingen mag. Zum Beispiel wenn er davor warnt, im Schatten einer Eibe zu schlafen oder über die Zusammensetzung von Pflanzen für Amulette berichtet. Insgesamt aber ist in seinem Werk viel Rationales enthalten.
Arzneien ohne Wirkung
Dennoch erscheint aus heutiger Sicht ein Großteil seiner Ausführungen wissenschaftlich problematisch. Schon die Identifizierung der von Dioskurides beschriebenen Pflanzen bereitet erhebliche Schwierigkeiten. Für den modernen Leser ist an etlichen Stellen nicht klar, von welcher Pflanzenart, welchem Tier oder welchem Inhaltsstoff der Autor eigentlich spricht.
Zudem sind viele medizinische Anwendungen aus unserem heutigen Verständnis heraus schlicht unwirksam. Die medizingeschichtliche Forschung geht davon aus, dass nur rund zehn Prozent der Stoffe in der „De Materia Medica“ tatsächlich eine Wirkung hatten. Dazu gehören zum Beispiel die schmerzstillende Wirkung von Schlafmohn (Opium), die Anwendung von Pfefferminze bei Kopfschmerz oder der Einsatz von Thymian gegen Atemwegserkrankungen – Dinge, die wir auch heute noch kennen.
Als wertvoller Fundus für ungehobene Schätze der Medizin taugt das Werk deshalb wohl nicht. Vielmehr muss man Dioskurides „De Materia Medica“ als das betrachten, was es ist: ein eindrückliches und außergewöhnliches Zeugnis seiner Zeit. Ein Blick in die Schrift mag sich aus medizinischer Sicht vielleicht nicht lohnen. Aus wissenschafts- und literarhistorischer Perspektive aber, ist sie umso interessanter.
Daniela Albat
Stand: 18.03.2016