Antikörper sind ein geniales Patent unserer Immunabwehr. Diese kleinen Proteinmoleküle sind schnell in Massen herstellbar und wirken hochspezifisch: Nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip docken sie gezielt an bestimmten Oberflächenmolekülen von Krankheitserregern oder krankhaft veränderten Zellen an und töten sie ab. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Immunsystem zuvor diese molekularen Marker identifiziert und die passenden Antikörper produziert hat.
Monoklonale Antikörper
Genau an diesem Punkt setzen viele Antikörper-Therapien gegen Krebs an: Weil das Immunsystem die Tumorzellen oft nicht erkennt und daher von sich aus keine oder zu wenig Antikörper bildet, helfen Mediziner nach. Sie suchen dafür zunächst auf der Oberfläche der Krebszellen nach Antigenen, die sie von normalen Körperzellen unterscheiden und die daher spezifisch für den Krebs sind. Einige Brustkrebstumore produzieren beispielsweise vermehrt den Rezeptor HER2/neu.
Um passende Antikörper gegen diese Krebs-Antigene im Labor herzustellen, werden zunächst Mäuse mit dem Antigen „geimpft“. Ihre Immunabwehr bildet daraufhin passende Antikörper-produzierende B-Lymphozyten. Diese zellulären Antikörper-Fabriken werden in Zellkultur vermehrt und erzeugen nun große Mengen des passenden Immunglobuline, die sogenannten monoklonalen Antikörper. Krebspatienten mit dem passenden Tumortyp können dann diese Antikörper als Infusion erhalten
Einer der ersten in Deutschland zugelassenen monoklonalen Antikörper gegen Krebs ist Trastuzumab (Herceptin). Er wird gegen metastasierten Brustkrebs eingesetzt, wenn die Krebszellen den Rezeptor HER2/neu auf ihrer Oberfläche tragen – was bei etwa jeder vierten Brustkrebspatientin der Fall ist. Meist erfolgt die Antikörpertherapie dabei in Kombination mit einer klassischen Chemotherapie. Auch bei Lymphomen und Leukämie sind schon monoklonale Antikörper im Einsatz.
BiTE: Antikörper mit doppeltem Biss
Antiköper-Präparate können eine Krebszelle auf unterschiedliche Weise außer Gefecht setzen. Einige lösen durch ihr Andocken eine Apoptose aus – die Tumorzellen sterben durch das zelleigene Selbstmordprogramm. Andere Antikörper holen sich Hilfe: Ihre freien Fc-Enden werden von den Killer- und Fresszellen des Immunsystems erkannt, die daraufhin die so markierte Tumorzelle abtöten.
Ein neuer, besonders vielversprechender Typ solcher bispezifischen Antikörper sind sogenannte BiTE-Antikörper (Bi-specific T-cell Engager). Diese künstlich hergestellten Moleküle bestehen aus je einer leichten und einer schweren Kette von zwei verschiedenen monoklonalen Antikörpern. Eine Seite dieser Antikörper kann an Rezeptoren von Krebszellen andocken. Die andere Seite bindet an T-Zellen, die daraufhin zytotoxische Moleküle freisetzen und die Krebszelle töten. Erste Präparate mit solchen BiTE-Antikörpern werden zurzeit in klinischen Studien getestet, das Mittel Blinatumomab ist bereits seit 2015 in der EU zur Behandlung bestimmter Lymphome und Leukämien zugelassen.
Erst am Tumor aktiv
Antikörper, die auf diese Weise Immunzellen anlocken, haben jedoch einen Nachteil: Abwehrzellen reagieren oft schon auf die passenden Enden der Antikörper, bevor diese überhaupt am Tumor angekommen sind. Dies kann erhebliche Nebenwirkungen verursachen. Eine mögliche Lösung dafür hat ein Team um Harald Kolmar von der TU Darmstadt im Jahr 2021 vorgestellt: „Das Ziel unserer Arbeit war es, einen Weg zu finden, die Immunstimulation des Antikörpers vorübergehend zu blockieren und diese erst unmittelbar am Tumor zu aktivieren“, erklärt Kolmar.
Dafür decken die Forschenden das Fc-Ende der therapeutischen Antikörper mit einer Proteinkappe ab und machen die Moleküle damit für das Immunsystem quasi unsichtbar. Erst am Tumor lösen krebseigene Enzyme diese Kappe ab und ermöglichen es den Abwehrzellen, anzudocken und aktiv zu werden. In der Zellkultur haben diese abschaltbaren Antikörper bereits gut funktioniert, jetzt sollen Tierversuche folgen.
Tumore als Antikörperfabriken
Man kann sogar die Krebszellen selbst zu Antikörperfabriken umfunktionieren – der Krebs erzeugt dadurch Abwehrmoleküle gegen sich selbst. Einen solchen Ansatz hat ein Team um Sheena Smith von der Universität Zürich im Jahr 2021 erfolgreich bei Mäusen mit Brustkrebs getestet. Basis der SHREAD (SHielded, REtargeted Adenovirus) getauften Therapie bildet eine viralen Genfähre, die die genetische Bauanleitung für den passenden Antikörper enthält – in diesem Fall Trastuzumab. Spezielle Moleküle auf der Virenoberfläche sorgen dafür, dass die Genfähre nur in Tumorzellen eindringen kann, nicht aber in normale Körperzellen.
Im Tumor angekommen, wird der Antikörper-Bauplan in die zelluläre DNA eingebaut und mit abgelesen. Als Folge produzieren die Krebszellen nun selbst Trastuzumab und töten sich damit selbst. Der große Vorteil: Die Antikörper wirken gezielt nur im Tumor und erreichen dort hohe Konzentrationen, verteilen sich aber kaum im Blut und anderen Organen. Dadurch werden Nebenwirkungen verringert. Bisher wurde diese Therapie allerdings erst im Tierversuch getestet, klinische Studien beim Menschen stehen noch aus.