Die Census-Projekte rund um den Globus entdecken neue Arten schneller, als sie bestimmt werden können. Noch Jahrzehnte wird daher die Auswertung der Ausbeute dauern. Doch es gibt eine Technik, die den mühsamen Prozess deutlich abkürzen und erleichtern könnte: das DNA-Barcoding. Schon jetzt setzen es Meeresforscher im Rahmen des Census ein, zunächst vor allem bei Mikroorganismen und Fischen.
DNA statt äußerer Kennzeichen
Der Vorteil daran: Diese Methode ist unabhängig von der Fachkompetenz oder verfügbaren Zeit der Taxonomen und ermöglicht daher eine Art- und Verwandtschaftsbestimmung quasi auf der Überholspur. Zudem verzeiht sie auch Irrtümer in der Beschreibung der äußeren Merkmale oder sonstiger Eigenschaften des neuen Funds. Denn was hier zählt ist einzig und allein die DNA, das Erbgut des unbekannten Lebewesens. Seine Sequenz, die Abfolge der Basen T, G, A und C ist so individuell wie ein Fingerabdruck, verrät aber auch die Zugehörigkeit zu einer Art oder Verwandtschaftsgruppe. Je ähnlicher der Code, desto enger verwandt sind zwei Organismen.
Tragbares Labor und zentrale Datenbank
Doch eine komplette Sequenzierung jedes neu gefundenen Organismus wäre enorm aufwändig und langwierig. Deshalb behilft man sich mit Markern, „tags“ genannt: kleinen Ausschnitten des genetischen Codes, die Verwandtschaftsverhältnisse besonders gut wiederspiegeln. Sie stammen meist nicht aus dem im Zellkern liegenden Erbgut, sondern aus der mitochondrialen DNA, Genen, die in den „Kraftwerken der Zelle“, den Mitochondrien liegen. Um diese entscheidenden „Schnipsel“ zu bestimmen, müssen die Meeresforscher keine Großrechner auf ihren Schiffen installieren, es reicht ein einfaches, tragbares Labor.
Der so ermittelte genetische „Barcode“ wird dann mittels Internet mit dem Bestand von zentralen DNA-Datenbanken verglichen. Gibt es keine passenden Treffer, könnte es sich um eine neue Art handeln. Voraussetzung für diese Methode ist allerdings, dass die bekannten Spezies bereits möglichst vollständig mittels Barcoding erfasst sind. In Ansätzen ist dies bisher nur für die marinen Mikroorganismen der Fall, schon dort aber zeigte sich, welche Überraschungen und Fortschritte diese Methode bringt:
Barcoding enthüllt ungeahnte Diversität
„Diese Beobachtungen haben alle vorherigen Schätzungen zur bakteriellen Vielfalt im Meer über den Haufen geworfen“, erklärt Census-Wissenschaftler Mitchell L. Sogin vom Meeresbiologischen Laboratorium in Woods Hole und Leiter des Census-Mikroorganismenprojekts im Buch „Schatzkammer Ozean“. „Ebenso wie Wissenschaftler mithilfe immer besserer Teleskope entdeckt haben, dass die Zahl der Sterne in die Milliarden geht, lernen wir mithilfe von DNA-Techniken, dass die Zahl der für das Auge unsichtbaren marinen Organismen jenseits aller Erwartungen liegt und die Diversität viel größer ist, als wir uns vorstellen konnten.“ Um zehn- bis hundertmal höher als gedacht liegt die mikrobielle Artenvielfalt des Meeres, so schätzen die Census-Forscher heute.
Zukünftig auch andere Organismengruppen auf diese Weise charakterisieren zu können, daran arbeiten Forscher in verschiedenen Census-Bereichen. So erfassten die Mitarbeiter des Antarktisprojekts „CAML“ bereits 3.000 antarktische Spezies mittels DNA-Barcoding, ihre Kollegen vom Arktisprojekt „ArcOD“ immerhin rund 300. Das Barcoding von Fischarten, ebenfalls in vollem Gange, hat über die Grundlagenforschung hinaus auch Bedeutung für Fischereiwirtschaft und Artenschutz:
„Es ist leicht, einen vollständigen Fisch genau zu identifizieren, aber wenn man nur einen Teil dieses Fisches hat, beispielsweise ein Filet oder eine Flosse oder ein bisher unbekanntes Lebensstadium, dann wird es ziemlich schwierig, manchmal sogar unmöglich ihn nur durch äußere Kennzeichen zu bestimmen“, erklärt Bronwyn Innes, von der australischen Forschungsorganisation CSIRO. Sie ist Teil eines Projekts, in dem Fischarten systematisch per DNA-Barcoding erfasst werden. „Barcoding könnte beispielsweise sicherstellen, dass ein Restaurantbesucher wirklich den von ihm bestellten teuren Fisch erhält und nicht einen billigeren Ersatz. Oder den Behörden dabei helfen festzustellen, ob ein illegal gefangener Fisch zu einer geschützten Art gehört.“
Nadja Podbregar
Stand: 26.02.2010