In der Öffentlichkeit grußlos aneinander vorbeigehen, nach einem Treffen den fremden Parfümduft übertünchen, Handynummern und SMS aus dem Speicher löschen, jede kleinste Spur, die auf ein Doppelleben hindeuten könnte, verwischen: Ein „zweites“ Leben ist für Menschen mit einer Fülle von Heimlichkeiten, einem hohen Stressfaktor und sicher bei den meisten auch mit einem schlechten Gewissen verbunden.
Bei Quallen sieht das ganz anders aus. Denn sie haben von Natur aus eine zweite Identität und brauchen sich für diese auch nicht zu schämen. Der uns allen bekannte, frei im Wasser schwebende gallerartige Körper einer Qualle ist nur eine Erscheinungsform der „Glibberwesen“, die so genannte Medusengeneration. Daneben gibt es noch einen weiteren Lebenszyklus, indem die Qualle als Polyp existiert. Während sich Medusen geschlechtlich fortpflanzen können, ist die Polypengeneration dazu nicht fähig. Das heißt erstere haben Sex, letztere nicht.
Am Anfang gingen Zoologen sogar davon aus, dass es sich bei den beiden Formen um unterschiedliche Tiere handelt und nicht um eine einzige Art in verschiedenen Abschnitten ihres Lebens. Doch mittlerweile weiß man, dass Quallen sich auf eine bis heute noch wenig erforschte Weise vom sesshaften Polypen zur freischwimmenden Meduse verwandeln. Dieses Doppelleben sorgte lange Zeit für Verwirrung unter den Wissenschaftlern und auch heute geben manche Quallen den Forschern noch Rätsel auf. Denn der Generationswechsel erschwert die Klassifikation und bislang kann man noch nicht alle Medusen den richtigen Polypen zuordnen. Und wie immer bestätigt die Ausnahme die Regel: Bei manchen Quallenarten wurde die Polypengeneration im Laufe der Evolution gestrichen und es gibt bei ihnen nur die freischwimmenden Medusen.
Zwei Wege zur Vermehrung
Wie läuft der Generationswechsel eigentlich genau ab? Und wie wird aus einem Polypen ein „Freischwimmer“? In ihrem ungeschlechtlichen Leben sitzen die Quallen als winzige bäumchenförmige Polypen auf Felsen und Steinen am küstennahen Ozeanbodenboden. Dort sind sie fest verankert und ernähren sich mit Hilfe ihrer Tentakel von vorbeischwimmenden Kleinkrebsen und anderem Plankton. Im Frühjahr und Sommer, wenn sich das Wasser genügend erwärmt hat und die millimetergroßen Geschöpfe gut im Futter stehen, schnüren die Polypen bis zu zwanzig scheibenförmige Larven von ihren Körpern ab, aus denen die Medusen entstehen.
Diese sind nun zur sexuellen Fortpflanzung fähig, doch ist der geschlechtliche Akt bei den meisten Quallen ziemlich unspektakulär. Die Tiere bevorzugen „anonymen“ Sex ohne Körperkontakt. Dafür gibt das Weibchen ihre Eier einfach ins Wasser ab und das Männchen folgt ihrem Beispiel mit seinem Samen. Die Befruchtung erfolgt mehr oder weniger zufällig im Meer oder bei einigen Arten in der wasserdurchspülten Bauchhöhle des Weibchens, wo sich dann aus den Eiern erneut Polypen entwickeln. Diese treiben solange umher, bis sie einen geeigneten Haftgrund zum Anwachsen gefunden haben.
Ein „Gigolo“ unter den Quallen
Doch auch beim recht langweilig anmutenden Sexleben der Quallen gibt es Ausnahmen. Die Männchen der Würfelqualle Tripedalia cystophora beispielsweise kann man im Vergleich zu Quallenmännchen anderer Arten getrost als „Gigolos“ bezeichnen. Denn sobald die paarungsbereiten Tiere ein passendes Weibchen gefunden haben, verhaken sie sich mit ihren Tentakeln an diesem und verfallen in rhythmische Bewegungen.
Bei diesem Paarungstanz heftet der Quallen-Mann seine in kleine klebrige Behälter verpackten Samen per Mundrohr an die Tentakel seiner Auserwählten. Während das Männchen nach erfüllter Mission bereits wieder von dannen zieht, transportiert das Weibchen sein „Geschenk“ in ihren Magen und entpackt es dort. Bereits nach zwei bis drei Tagen schlüpfen dann Larven aus den befruchteten Eiern.
MSC
Stand: 15.06.2007