Gemeinsam förderten die Max-Planck-Wissenschaftler aber zunächst neue, ähnlich überraschende Erkenntnisse über den dritten Gliazelltyp, die Mikroglia, zu Tage. „Mikrogliazellen haben einen anderen Ursprung als Neuronen oder Astrozyten – sie sind mit den Zellen des Immunsystems verwandt“, meint Fritjof Helmchen. „Im zentralen Nervensystem erfüllen sie die Aufgaben der körpereigenen Abwehr.“ Bislang nahm man an, dass die Mikrogliazellen im gesunden Säugergehirn in einer Art Dornröschenschlaf verharren und erst dann aktiv werden, wenn Unregelmäßigkeiten auftreten: Infektionen, Blutungen, ein Schlaganfall oder neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer.
Doch der Alltag der Mikroglia sieht ganz anders aus, wie Helmchens Gruppe mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie zeigen konnte. Dazu kombinierten die Forscher das Verfahren mit einer weiteren Schlüsseltechnologie: einem von einem anderen Team entwickelten transgenen Mausmodell. Ins Erbgut dieser Nager wird mit molekularbiologischen Methoden das Gen für ein bestimmtes Eiweiß, das so genannte grün-fluoreszierende Protein (GFP), eingeschleust. „Man kann das so steuern, dass nur ein bestimmter Zelltyp den Farbstoff produziert, etwa die Mikroglia“, sagt Helmchen. „Diese Tiere kommen dann bereits mit fluoreszierenden Mikrogliazellen zur Welt.“
Eine „Müllabfuhr“ mit tentakelartige Fortsätzen
Wie sich diese Zellen verhalten, beobachten die Forscher dann mit der Zwei-Photonen-Mikroskopie – durch die zwar ausgedünnte, aber intakte Schädeldecke der Mäuse hindurch. Auf diese Weise gewannen die Heidelberger Wissenschaftler über Stunden hinweg wieder und wieder Aufnahmen ein und desselben Bereichs der Hirnrinde, so dass die Fluoreszenzbildstapel am Ende eine Art Film ergaben.
Der offenbarte dann, dass die Mikrogliazellen auch im gesunden Gehirn keineswegs untätig vor sich hin schlummern. Im Gegenteil: Sie verändern ständig ihre Form und bilden binnen weniger Minuten kontinuierlich neue, tentakelartige Fortsätze, mit denen sie ihre Umgebung abtasten. Wie eine Art Müllabfuhr umschließen diese „Finger“ abgestorbenes Zellmaterial, um sich nach einer gewissen Zeit wieder zurückzuziehen.
Ob Neuronen, Astrozyten oder Blutgefäße: Die Mikroskopiebilder zeigen, dass die Mikrogliazellen mit ihren Tentakeln eigentlich alle Strukturen in ihrer Umgebung zu kontaktieren scheinen. „Sie sitzen nicht nur da und warten, bis etwas passiert, sondern erfüllen eine aktive Wächterfunktion“, fasst Helmchen zusammen. „Mikrogliazellen sondieren und kontrollieren ständig das Hirngewebe, damit sie im Schadensfall sehr schnell eingreifen können.“
Stand: 26.07.2007