Die Idee ist ganz einfach: Man nehme einen bereits existierenden Impfstoff, der gute Erfolge und erprobte Sicherheit vorweisen kann und kombiniere ihn mit wichtigen aber harmlosen Strukturen des HI-Virus. Im günstigsten Fall ruft dieser Kombinationsimpfstoff dieselbe starke Immunreaktion wie das erprobte Serum hervor, richtet sie aber statt gegen das ursprüngliche Ziel jetzt gegen den Aidserreger.
Als Kandidaten für diese „Schafe im Wolfspelz“ kommen mehrere klassische Impfstoffe in Frage, die Mehrzahl der Experimente konzentrierten sich jedoch zunächst auf Pockenviren als Vektoren. Abgeschwächte oder nicht auf Menschen wirkende Pockenviren produzieren bei einer Impfung vor allem eine starke Vermehrung der T-Killerzellen, ein Effekt, der auch bei der Bekämpfung des HI-Virus von entscheidender Bedeutung ist. In ersten Versuchen wurde Vaccinia, ein abgeschwächter Pockenvirus als Vektor eingesetzt. Im Tierversuch erzeugte die Kombination von Pocken-Trägervirus und HIV-Bausteinen wie erhofft zunächst auch eine starke Killerzell-Antwort auf zwei Oberflächenproteine des HI-Virus. Doch die ersten Versuche am Menschen machten den Hoffnungen schnell ein Ende: Eine der freiwilligen Versuchspersonen starb trotz aller Vorsichtsmaßnahmen an einer Pockeninfektion.
Inzwischen werden bei der Suche nach geeigneten Trägerviren nur noch Erreger berücksichtigt, die sich erwiesenermaßen auch im aktiven, lebenden Zustand nicht im Menschen vermehren können. Dazu gehören unter anderem die Erreger der Kanarienpocken, aber auch die nur auf Vögel wirkende Variante des „klassischen“ Pockenvirus, die „Modified Vaccinia Ankara“ (MVA). Eine französische Firma testet bereits einen ersten, auf Kanarienpocken als Vektor basierenden Impfstoff. Bei diesem „Alvac“ getauften Konstrukt wurden in das Trägervirus sowohl das Gen für die Oberflächenproteine des HI-Virus, als auch zwei weitere Strukturgene des Aidserregers eingebaut. Erste Tests zeigten, dass „Alvac“ tatsächlich bei 25 bis 50 Prozent der Versuchspersonen erhöhte Killerzell-Reaktionen gegen den HI-Virus hervorrufen konnte, allerdings bezog sich diese jeweils nur auf einen der zahlreichen Virusstämme.
Auch wenn diese Ergebnisse recht erfolgversprechend scheinen, viele Aidsforscher sind der Ansicht, dass ein Impfstoff sowohl eine Antikörperreaktion als auch eine Killerzell-Reaktion hervorrufen muss um effektiv zu sein. Erste Erfolge in dieser Richtung brachten die Versuche amerikanischer Forscher, die einen Tollwut-Impfstoff – aus einem Verwandten des Pockenvirus – mit HIV-Genen kombinierten. Der Tollwut-Impfstoff gilt als relativ sicher, da er zwar menschliche Zellen infiziert, aber dort keinen Schaden anrichtet. Durch die lange Verweildauer im Körper könnte wiederum die Schutzwirkung des veränderten Vektorvirus gegen HIV um so länger anhalten.
Tests mit Mäusen zeigten, dass der kombinierte Tollwut-HIV-Impfstoff nicht nur, wie erwartet, die Produktion von Killerzellen anregte, sondern zusätzlich auch eine starke Antikörperreaktion gegen den HI-Virus hervorrief. In einer anschließend mit zehn Schimpansen durchgeführten Sicherheitsstudie wurden zwar auch Antikörper gegen Tollwut gefunden, das veränderte Virus löste jedoch offenbar keine Tollwut aus. Doch auch dieser Ansatz ist von einem Einsatz am Menschen noch weit entfernt…
Stand: 15.11.2000