Auf den ersten Blick wirkt der Merkur eher unspektakulär: ein steiniger, von Kratern übersäter Planet, der in Größe und Aussehen unserem Erdmond sehr ähnelt. Nur ein wenig dunkler ist die Oberfläche. Reichlich öde und ziemlich tot, so scheint es. Selbst eine Atmosphäre fehlt und damit auch die verändernden und formenden Kräfte von Wetter und Erosion.
Noch vor rund einem Jahr existierte von mehr als der Hälfte des Planeten nicht einmal ein noch so verschwommenes Bild, 60 Prozent seiner Oberfläche waren ein sprichwörtlich „Weißer Fleck“ auf der Planetenkarte. Entsprechend dünn war auch das, was über seine Zusammensetzung, seine Topographie und die sie erzeugenden Prozesse wusste. Klar war nur, dass die Oberfläche sehr alt sein muss, die zahlreichen Krater zeugen von einer langen Einschlagsgeschichte, die vermutlich bis in die Frühzeit des Sonnensystems vor rund vier Milliarden Jahren zurückreicht.
Aber was war seitdem? Gab es überhaupt aktive Prozesse? Vulkane, Tektonik, irgendwas? Genau das soll nun Messenger klären – und schon ihre ersten Vorbeiflüge haben für eine Sensation gesorgt: Die Aufnahmen der Bordkameras und die Höhenmessungen des Laseraltimeters enthüllten zum ersten Mal verblüffende geologische Details und deutliche Kontraste auf der Planetenoberfläche.
Woher kommen die Steilkanten und Risse?
Am erstaunlichsten sind lange gewundene Steilkanten, die sich über hunderte von Kilometern Länge erstrecken und bis zu zwei Kilometer hoch sind. Diese „Rupes“ (lateinisch für Abhang, Böschung) liegen unterden ältesten Kratern und müssen daher aus der Frühzeit des Planeten stammen. In einigen großen Impaktsenken entdeckten die Planetenforscher zudem zahlreiche schmale Risse im Untergrund. Allein im 1.550 Kilometer weiten und rund 3,8 Milliarden Jahre alten Caloris-Becken zählten sie rund 200 dieser „Fossae“.
Welche Kräfte aber konnten solche Verwerfungen erzeugt haben? Auf der Erde käme einem Geologen bei solchen großräumigen Strukturen vermutlich als erstes die Plattentektonik, die langsame Drift der Krustenplatten, in den Sinn. Auf dem Merkur jedoch gibt es keinerlei Anzeichen für eine solche Tektonik. Was aber war es dann?
Nach dem Ausscheiden aller möglichen Alternativen kamen die Planetenforscher auf eine ungewöhnliche Lösung: Es mussten Schrumpfungsrisse sein. Während der Merkur vor rund vier Milliarden Jahren allmählich abkühlte, zog er sich zusammen – ähnlich wie ein Käsekuchen nachdem er aus dem Ofen kommt. Rund zwei Kilometer nahm der Radius des Planeten dabei ab, seine Oberfläche schrumpfte um 100.000 Quadratkilometer, schätzt der Geologe Robert G. Strom vom Lunar and Planetary Lab der Universität von Arizona. Diese Kompression sprengte die erstarrende Kruste an einigen Stellen auf und erzeugte die steilen Verwerfungen. Im Sonnensystem ist der Merkur mit diesem Phänomen absolut einzigartig.
Vulkanismus: und es gibt ihn doch
Neben den zahlreichen tiefen, alten Kratern zeigten die Aufnahmen weitere Krater und Flächen, die seltsam flach und eben waren. Und einige der zuvor für Impaktkrater gehaltenen Strukturen passten nun gar nicht mehr ins Bild: Die Vertiefungen waren eher unregelmäßig geformt und ihnen fehlte der typische steile, durch Auswürfe gekennzeichnete Rand. Ihr Boden erschien zudem ungewöhnlich glatt, nicht rau wie bei den alten Kratern. Wie war das zu erklären?
Für die Astronomen kam hier nur eine Antwort in Frage: Lava. Schon seit Mariner 10 hatte es heftige Debatten darüber gegeben, ob es auf dem Merkur jemals Vulkanismus gab – jetzt wurden erstmals Belege dafür gefunden. Die Nahaufnahmen vor allem des zweiten Vorbeiflugs von Messenger enthüllten klare Spuren von vulkanischen Schloten mit umgebenden Lavaschichten – nicht als Berge mit explosiven Eruptionen, wie auf der Erde, sondern eher als gleichmäßig ausströmende Schmelze.
„Nach der Kartierung sehen wir, dass 40 Prozent der Oberfläche aus glatten Ebenen besteht, von denen viele vulkanischen Ursprungs sind“, erklärt Brett Denevi, Mitglied des Messender-Teams von der Arizona State Universität. Auch auf dem Mond und Mars gibt es solche Lavaebenen, dort aber konzentrieren sie sich meist auf einer Halbkugel. Genau diese Asymmetrie fehlt dem Merkur jedoch. „Die Oberfläche des Merkur ist viel homogener in Bezug auf Alter und Kraterverteilung“, erklärt Denevis Kollege Mark Robinson. „Große Teile der jüngeren vulkanischen Ebenen liegen mitten in und zwischen den großen Einschlagssenken.“
Die aktive Zeit des Merkur-Vulkanismus ist allerdings, ähnlich wie bei unserem Mond, schon lange vorbei: Die letzten Lavaströme flossen vermutlich vor 3,8 Milliarden Jahren. Danach war die Kruste erstarrt und blockierte das Aufsteigen des glutflüssigen Gesteins.
Nadja Podbregar
Stand: 02.10.2009