„Ich konnte bei meinem ersten Dialog mit ChatGPT einfach nicht glauben, wie gut meine Fragen verstanden und im Kontext eingeordnet wurden“ diese Ausspruch stammt von keinem geringeren als dem Leiter der KI-Einheit bei SAP, Johannes Hoffart. Und er steht nicht allein: Weltweit hat das KI-System von OpenAI für Furore und Erstaunen gesorgt, seit es im November2022 erstmals über ein Nutzer-Interface für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Schwemme neuer KI-Systeme
Tatsächlich hat die künstliche Intelligenz dank neuronaler Netzwerke und selbstlernender Systeme in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht – selbst in vermeintlich menschlichen Domänen: KI-Systeme meistern Strategiespiele, knacken Proteinstrukturen oder schreiben Programmcodes. Text-zu-Bild-Generatoren wie Dall-E, Stable Diffusion oder Midjourney erzeugen in Sekundenschnelle Bilder und Collagen im gewünschten Stil – nur auf Basis einer textlichen Beschreibung.
Den möglicherweise größten Entwicklungssprung hat es jedoch bei der Sprachverarbeitung gegeben: Sogenannte Große Sprachmodelle (Large Language Models, LLM) sind inzwischen so weit entwickelt, dass diese KI-Systeme in fast menschähnlicher Form Gespräche führen, Texte übersetzen oder verfassen können. Solche selbstlernenden Programme werden mithilfe von Millionen Texten verschiedenster Art trainiert und lernen daraus, welche Inhalte und Wörter in welchen Zusammenhang am häufigsten vorkommen und daher am passendsten sind.
Was leistet ChatGPT?
Das bekannteste dieser Großen Sprachmodelle ist GPT-3, das System, das auch hinter ChatGPT steckt. Auf den ersten Blick scheint diese KI fast alles zu können: Sie beantwortet Wissensfragen aller Art, kann aber auch komplexere sprachliche Aufgaben lösen. Wenn man ChatGPT beispielsweise bittet, einen Text im Stile eines Romans aus dem 19. Jahrhunderts zu einem bestimmten Thema zu schreiben, tut er dies. Auch Schulaufsätze, wissenschaftliche Abhandlungen oder Gedichte verfasst ChatGPT scheinbar mühelos und ohne zu zögern.
Das hinter ChatGPT stehende Unternehmen OpenAI listet sogar rund 50 verschiedene Aufgabenarten, die ihr GPT-System beherrscht. Dazu gehört das Verfassen von Texten in verschiedenen Stilen vom Film-Dialog über Tweets, Interviews oder Essays bis hin zum „Mikro-Horrorstory Creator“ oder „Marv, dem sarkastischen Chatbot“. Das KI-System kann aber auch eingesetzt werden, um Rezepte zu schreiben, die passende Farbe zu einer Stimmung zu finden oder als Ideengerator für VR-Spiele und Fitnesstrainings. Außerdem beherrscht GPT-3 auch das Programmieren und kann Text in Programmcode verschiedener Programmiersprachen übersetzen.
Nur die Spitze eines Eisbergs
Kein Wunder, dass ChatGPT und seine „Kollegen“ von vielen als Meilenstein der KI-Entwicklung gefeiert werden. Aber ist das, was GPT-3 und sein Nachfolger GPT-3.5 können, wirklich ein solcher Quantensprung? „In einer gewissen Hinsicht ist es gar keine große Veränderung“, sagt KI-Forscher Thilo Hagendorff von der Universität Tübingen. Denn ähnlich leistungsfähige Sprachmodelle gebe es schon länger. „Allerdings ist das, was jetzt neu ist, dass eine Firma es gewagt hat, so ein Sprachmodell an eine einfache Benutzerschnittstelle anzuschließen.“
Anders als zuvor, als solche KI-Systeme nur in eng umgrenzten und nichtöffentlichen Bereichen getestet oder angewendet wurden, können bei ChatGPT jetzt alle Menschen selbst ausprobieren, was mit GPT und Co schon möglich ist. „Diese Benutzerschnittstelle ist eigentlich das, was diesen wahnsinnigen Hype ausgelöst hat“, so Hagendorff. Seiner Einschätzung nach ist ChatGPT in dieser Hinsicht durchaus ein Gamechanger. Denn nun werden auch andere Unternehmen ihre Sprachmodelle der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. „Und ich glaube, das kreative Potenzial, das dann freigesetzt wird, der gesellschaftliche Impact, den es haben wird, da machen wir uns überhaupt kein Bild von.“
Folgen für Bildung und Gesellschaft
Schon jetzt verursacht die Einführung von ChatGPT erhebliche Umbrüche und Veränderungen vor allem im Bildungsbereich. Denn für Schüler und Studierende eröffnet das KI-System nun die Möglichkeit, ihre Hausarbeiten, Schulaufsätze oder Seminararbeiten einfach von der künstlichen Intelligenz anfertigen zu lassen. Die Qualität vieler Texte von ChatGPT ist hoch genug, um sie nicht ohne weiteres als KI-generiert zu entlarven.
Damit könnten in naher Zukunft viele klassische Formen der Lernerfolgskontrolle hinfällig werden: „Wir müssen uns in Schulen wie Hochschulen fragen: Was sind Kompetenzen, die wir brauchen und wie will ich sie prüfen?“, sagt Ute Schmid, Leiterin der Arbeitsgruppe Kognitive Systeme an der Universität Bamberg. Bisher werde in Schulen und teilweise auch an Universitäten das gelernte Wissen vor allem über bloßes Abfragen geprüft. Doch zur Kompetenz gehöre auch das Herleiten, Überprüfen und praktische Anwenden des Gelernten. So könnte es in Zukunft beispielsweise sinnvoller sein, Prüfungsgespräche zu führen oder Aufgaben unter Einbeziehung der KI-Systeme zu stellen.
„Große Sprachmodelle wie ChatGPT verändern nicht nur die Art und Weise, wie wir mit Technologie interagieren, sondern auch, wie wir über Sprache und Kommunikation denken“, kommentiert Jochen Werne von Prosegur. „Sie haben das Potenzial, eine Vielzahl von Anwendungen in Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Finanzen zu revolutionieren.“
Doch was steckt hinter Systemen wie ChatGPT?